Xeelee 1: Das Floss
Jetzt, wo wir doch alle Freunde sind…« Er machte einen Schritt nach vorn. »Du wirst den alten Quid schon noch mögen, wenn du ihn erst einmal besser kennst…«
Sie blieb tapfer stehen, doch in ihrem Gesicht zeigte sich Abscheu. »Wenn du noch näher kommst, breche ich dir deinen verdammten Arm.«
Er lachte unbeeindruckt. »Würde mich interessieren, wie du das anstellen willst, Schatz. Denk dran, daß ich meine attraktive Statur unter den Bedingungen hoher Schwerkraft erworben habe… nicht in dieser babyzarten Mikrogravitation, die ihr hier habt. Deine Muskeln sind zwar sehr attraktiv, aber ich wette, daß deine Knochen so spröde sind wie totes Holz.« Er musterte sie scharf. »Du bist überrascht, daß der alte Quid solche Begriffe wie ›Mikrogravitation‹ benutzt, was, Mädchen? Ich mag zwar ein Boney sein, aber ich bin weder ein Monster noch ein Dummkopf.« Er streckte die Hand aus und packte ihren Unterarm. Sein Griff war stahlhart. »Das ist eine Lektion, die du offensichtlich lernen mußt…«
Sie rumste mit beiden Beinen gegen die Mauer der Quartiermeisterei und vollführte eine schnelle Rolle rückwärts, wodurch sie seine Hand abschütteln konnte. Bei ihrer Landung hatte sie ein Messer in der Faust.
Mit einem bewundernden Grinsen hielt er beide Hände hoch. »Alles klar, alles klar…« Jetzt nahm Quid Grye ins Visier. Zitternd preßte der Wissenschaftler seine Feldflasche an die Brust. »Ich habe gehört, was du gesagt hast«, meinte Quid. »Das ganze Zeug über Orbits und Flugbahnen… aber weißt du was, ihr werdet es nicht schaffen.«
Gryes Wangen zitterten und spannten sich. »Was meinst du?«
»Was werdet ihr tun, wenn ihr auf eurem bißchen Eisen dem Kern entgegenfallt – und dann merkt, daß ihr euch auf einem Pfad befindet, der in eurer Tabelle nicht aufgeführt ist? Im kritischen Moment – im Perihel – habt ihr nur eine Reaktionszeit von wenigen Minuten. Was macht ihr dann? Wenden und noch ein paar Kurven auf Papier abtragen? Hm?«
»Du bist ja ein richtiger Experte, was?« schnaufte Sheen.
Er lächelte. »Zumindest nimmst du meine Worte zur Kenntnis, Schatz.« Er patschte sich an den Kopf. »Hört mir mal zu. Hier drin sind mehr Orbits gespeichert als auf allen Zetteln im gesamten Nebel.«
»Quatsch«, fauchte sie.
»Wirklich? Dein kleiner Freund Rees sieht das anders, nicht wahr?« Er nahm seinen Speer in die rechte Hand. Sheen fixierte ihren Blick auf die knöcherne Spitze der Waffe. »Denn«, fuhr Quid fort, »Rees hat gesehen, was wir mit diesen Dingern tun können…«
Abrupt drehte er sich so herum, daß er den Kern des Sterns im Blick hatte, und warf mit überraschender Eleganz den Speer. Die Waffe beschleunigte in Richtung der Gravitationsquelle des Kerns. Das Wurfgeschoß bewegte sich derart schnell, daß es in Sheens visueller Wahrnehmung wie eine durchgezogene Linie wirkte; es verfehlte den eisernen Horizont um wenige Meter und kurvte hinter dem Stern weg – und jetzt tauchte der Speer auf der anderen Seite des Kerns wieder auf und schoß wie eine explodierende Faust auf sie zu. Sie duckte sich und griff nach Grye; aber der Speer flog ein paar Meter über ihrem Kopf vorbei und verschwand in der Luft.
Quid seufzte. »Noch nicht optimal. Der alte Quid muß noch seine Augen einstellen. Trotzdem…« Er winkte. »Nicht schlecht für den ersten Versuch, oder?« Er knuffte Gryes schlaffen Bauch. »Nun, das ist es, was ich als Orbitaldynamik bezeichne. Und alles in Quids Kopf. Erstaunlich, nicht wahr? Und deshalb braucht ihr die Boneys. Aber jetzt braucht Quid etwas zu trinken. Bis später, Schatz…«
Dann drängte er sich an ihnen vorbei und betrat die Quartiermeisterei.
Gord schob das Haar aus den Augen und haute auf den Tisch. »Es ist nicht machbar. Ich weiß, wovon ich rede, verdammt.«
Jaen überragte den kleinen Ingenieur. »Und ich sage dir, daß du dich irrst.«
»Kind, ich habe mehr Erfahrung, als du jemals…«
»Erfahrung?« erwiderte sie lachend. »Durch deine Erfahrung mit den Boneys bist du weich in der Birne geworden.«
Gord schnellte hoch. »Was, du…«
»Hört auf!« Müde legte Hollerbach seine altersfleckigen Hände auf die Tischplatte.
Jaen kochte. »Aber er will nicht zuhören.«
»Jaen. Halt den Mund!«
»Aber… ah… verdammt.« Sie resignierte.
Hollerbach ließ seine Blicke über die kühlen, perfekten Linien des Brückenobservatoriums schweifen. Der Boden war mit Tabellen und ausgebreiteten Diagrammen bedeckt: Wissenschaftler
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