Xeelee 3: Ring
strebten mit annähernder Lichtgeschwindigkeit auseinander. Um das zu verhindern, mußte der Xeelee-Nightfighter diese Verwerfungen also aktiv stabilisieren und wieder destabilisieren, um Vortrieb zu gewinnen.
Louise glaubte, daß die Kontrolle des Weltflächen-Antigravitationseffektes der Fähigkeit des Schiffes zugrunde liegen mußte, die Pilotenkanzel vor den Auswirkungen der Beschleunigung abzuschirmen.
»Das alles klingt unglaublich«, kommentierte Seilspinnerin.
»Ein solches Wort gibt es nicht«, korrigierte Louise aggressiv. »Dein Ausflug war eine echte Leistung.« Seilspinnerin hatte Louise, die von den konstruktiven Fertigkeiten der Xeelee sichtlich begeistert war, noch nie in einem derart lebendigen und enthusiastischen Tonfall sprechen hören. »Du hast uns den ersten Durchbruch zum Verständnis der Funktionsweise dieses Nightfighters verschafft – und, was noch wichtiger ist, wie wir ihn benutzen können, ohne uns dabei selbst zu zerstören.«
Seilspinnerin runzelte die Stirn. »Und ist das denn so wichtig?«
Louise sah sie ernst an. »Seilspinnerin, ich muß das noch intensiver mit dir erörtern. Aber ich glaube, daß es davon abhängt, wie kompetent wir diesen Nightfighter einsetzen, ob wir – die menschliche Rasse – überleben oder zusammen mit der Sonne untergehen.«
Seilspinnerin schaute zu dem Xeelee-Raumschiff hinaus, zu den Ansammlungen von Drohnen-’bots, die geschäftig auf der Flügeloberfläche umherwuselten.
Vielleicht hatte Louise recht; vielleicht wurde etwas durch das Verständnis seiner Funktionsweise wirklich weniger bedrohlich. Der Xeelee-Nightfighter war kein Monster. Er war ein Werkzeug – eine Ressource, die von den Menschen genutzt werden konnte.
»Gut«, sagte sie. »Was nun?«
Louise grinste. »Nun ist es wohl an der Zeit, den Nightfighter auf einen kleinen Testflug durch das Sonnensystem zu schicken. Ich möchte wissen, was hier vorgefallen ist. Und«, ergänzte sie mit sich verhärtenden Gesichtszügen, »ich will wissen, was mit unserer Sonne geschieht…«
18
MILPITAS LEGTE DEN STIFT HIN.
Zu seinem Verdruß hob das Schreibgerät von der Platte des Schreibtischs ab und stieg in die Luft auf, wobei es gemächlich rotierte; Milpitas fing das renitente Teil schnell ein und deponierte es in einer Schublade, wo es nach Lust und Laune herumschweben konnte.
Er erhob sich steif vom Stuhl und verließ langsam das Büro.
Dünne weiße Seile waren im Korridor-Labyrinth des Tempels gespannt worden. Wenn man sachte mit der geschlossenen Faust an einem solchen Seil entlangfuhr, konnte man sich ziemlich leicht die Illusion bewahren – für sich selbst und für andere –, daß man ganz normal ging. Er kam an einem anderen Planer vorbei, einer jüngeren Frau, deren kahlrasierter Kopf recht schön geformt war. Ihre Beine wurden von einer langen Robe bedeckt, so daß – zumindest auf den ersten Blick – vermutet werden konnte, daß sie wirklich ging. Milpitas lächelte dem Mädchen zu, und sie nickte ihm beim Vorübergehen ernst zu.
Exzellent, dachte er. Nur so mußte man natürlich mit dieser gespenstischen, unangenehmen Schwerelosigkeit umgehen: Indem man ihre Realität nicht akzeptierte und nicht zuließ, daß sie den normalen Ablauf der Dinge beeinflußte – die gewohnten, routinemäßigen Denkvorgänge. Solcherart konnten sie überleben, bis die Gravitation wieder hergestellt war. Er streifte durch die Gänge seines Tempels, vorbei an den Büros von Planern, die provisorisch zu Schlafräumen und Speisekammern umfunktioniert worden waren. Hinter den geschlossenen Türen vernahm er die getragenen, leise murmelnden Stimmen seiner Leute, und außerhalb des Tempels ertönte das stete, klagende Heulen der Sirene.
Er verließ die Eingeweide des Gebäudes und begab sich nach draußen, zur glitzernden Fassade des Tempels. Seit dem Eintreten des Notfalls hatte er in jeder Schicht solche Inspektionstouren durchgeführt. Natürlich hatten seine Assistenten im Tempel ein komplexes Nachrichtensystem installiert, und er konnte nach Belieben entsprechende Berichte abrufen. Dank sorgfältig ausgewählter Läufer bestand sogar noch Verbindung mit den anderen Tempeln. Dennoch befand Milpitas, daß er ungeachtet all dieser Daten nicht darauf verzichten konnte, sein Büro zu verlassen und selbst nachzusehen, was sich ereignete.
Außerdem gefiel er sich in der Erwägung, daß die Leute vielleicht in dem Bewußtsein Trost fanden – die verlorenen Kinder, denen er hier, in ihrer
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