Xeelee 3: Ring
immer hier drinnen bleiben müßten.
Die Schwingen des Nightfighters legten sich über die zerstörte Oberfläche von Port Sol.
Die relativistischen Effekte des Fluges – eine intensive Blauverschiebung in Flugrichtung, die Andeutung eines den Himmel umspannenden Sternenbogens – verblaßte rapide in Seilspinnerins Wahrnehmung. Das Universum hinter ihrem Käfig aus Werkstoff gewann sein normales Aussehen zurück, mit den am Himmel verstreuten, geschrumpften Sternen und der immensen, drückenden Präsenz der blutrot aufgeschwemmten Sonne.
Sie nahm die Hände von den Steuergeräten und lehnte sich im Sitz zurück. Sie schloß die schmerzenden Augen und versuchte, das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken.
Sie saugte Apfelsaft aus einem im Helm integrierten Nippel. Der Saft schmeckte irgendwie komisch – wie immer, wegen der Nährstoffe, mit denen er angereichert war. Beine und Rücken waren steif, und die Muskeln fühlten sich hölzern an, nach zwei Tagen in dieser Kiste. Die Klempnerausrüstung, in die man sie gesteckt hatte, drückte wieder, und irgendwo auf dem Rücken hatte der Anzug eine Falte geschlagen, eine Falte, die ihr schmerzhaft ins Fleisch schnitt. Selbst das um die Hüfte geschlungene Seil spannte und schnürte sie ein.
»Seilspinnerin. Kannst du mich hören?« Es war Louises Stimme, die aus der behaglichen kleinen Kabine hinter der Kanzel kam, die sie sich auf den Schultern des Nightfighters eingerichtet hatte. »Geht es dir gut?«
Seilspinnerin seufzte. »So gut, wie du es wohl von mir erwartest.« Sie verschränkte die Hände ineinander und versuchte, mit den dick behandschuhten Fingern die Muskeln zu massieren. Ein Krampf in den Händen könnte sich vielleicht zu ihrem größten Problem entwickeln, überlegte sie. Die Steuerung des Schiffes wurde durch die Prozessorkapazität erleichtert, die Louise in der Kanzel implementiert hatte, aber dennoch mußte Seilspinnerin manuelle Korrekturen durchführen, und das ziemlich oft.
»Seilspinnerin, willst du die Flügel einfahren?«
Seilspinnerin drückte auf einen Knopf am linken Steuergerät. Sie machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen und zuzusehen, wie die kontrollierten Defekte der Raumzeit sich selbst deaktivierten; ohne die Schwingen änderte sich die Qualität des Lichts in der Kabine ein wenig, es wurde heller.
»Gut. Möchtest du eine Weile in die Lounge kommen?«
Noch ein verdammter Raumspaziergang? Sie schloß die Augen; die Augäpfel juckten schon vor Müdigkeit. »Nein danke, Louise.«
»Du sitzt jetzt schon seit sechsunddreißig Stunden in diesem Schiff, Seilspinnerin. Du mußt auf dich aufpassen.«
»Worum machst du dir überhaupt Sorgen?« fragte Seilspinnerin säuerlich. »Daß ich mich wundliege?«
»Nein«, entgegnete Louise ruhig. »Nein, um die Unversehrtheit des Schiffes…«
Seilspinnerin hatte schnell gemerkt, daß die Flugzeiten in dem ’fighter lang waren. Louise hatte ermittelt, daß der Nightfighter von seinem Diskontinuitäten-Triebwerk auf mehr als die Hälfte der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden konnte. Enorm. Aber das Sonnensystem bestand überwiegend aus leerem Raum. Nicht einmal über mehrere Stunden hinweg traten sichtbare Veränderungen ein – und das beschwor dann die schlimmsten Momente herauf, wenn sie auf einen Planeten oder Mond zuraste, durch die Wahrnehmung einer derart hohen Geschwindigkeit noch erschreckender.
Seilspinnerin hatte keine Beschleunigungswirkung verspürt, und Louise versicherte ihr, daß der Anzug – und die Eigenschaften des sie umgebenden Käfigs aus Werkstoff – sie vor jeglicher harten Strahlung oder schweren Teilchen abschirmen würden… Aber trotzdem war sie gezwungen, in dieser verdammten Kiste zu hocken und die Blauverschiebung der Sterne zu beobachten.
Vielleicht hatten die Xeelee nie Probleme mit Schwindelanfällen gehabt, aber sie fand schnell heraus, daß das auf sie mit Sicherheit nicht zutraf.
»Nun, wir sind hier in Port Sol. Louise, wie lange willst du hier bleiben?«
Louise zögerte. »Nicht lange, glaube ich. Ich hatte nicht erwartet, hier etwas zu finden, und jetzt, wo ich hier bin, erwarte ich es auch nicht.«
»Dann werde ich im Boot bleiben. Je eher wir verschwinden können, desto wohler fühle ich mich.«
»In Ordnung. Ich akzeptiere das. Seilspinnerin, sag mir, was du siehst.«
Nach einigem Zögern schlug Seilspinnerin die Augen auf und schaute aus dem Käfig.
Im Kontrast zu dem mit Ruinen überfüllten Himmel des Jupiter-Systems
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