Xeelee 3: Ring
Gesichter waren in einem grellen, furchteinflößenden Rot bemalt, und die Köpfe waren stellenweise kahlgeschoren. Die älter Aussehende der beiden trug eine glitzernde Brille und hatte eine plumpe Pfeilspitze an einem Lederband um den Hals hängen.
Lieserl war erst so kurz hier, daß sie dieses Szenario intensiv mit ihrer eigenen Erscheinung verglich. Ihre Hände warfen schwache Schatten, und ihre Brosche – aus ineinander verschlungenen Schlangen und Leitern – glitzerte im Kerzenlicht. Sie beobachtete aus dem Augenblick wie das flackernde Licht mit bemerkenswerter Präzision von den verschwommenen Konturen ihres Gesichts reflektiert wurde; sie wußte, daß sie ziemlich authentisch auf die anderen wirken mußte.
Sie lächelte Louise Ye Armonk zu. »Ihr habt sehr hohe Prozessorkapazitäten in mich investiert.«
Louise wirkte leicht defensiv; sie zog sich etwas vom Tisch zurück. »Wir konnten es uns auch leisten. Die Systeme der Northern sind heruntergefahren. Wir haben genügend freie Kapazitäten.«
»Das sollte ja auch keine Kritik sein. Ich wollte Ihnen vielmehr danken. Mir ist schon klar, daß Sie es nur gut gemeint haben.«
Mark, der neben Lieserl saß, lehnte sich zu ihr hinüber. »Beachten Sie Louise überhaupt nicht. Sie ist schon immer so bösartig wie ein Stachelschwein gewesen…«
»Ein was?« fragte Seilspinnerin, das Mädchen mit der Brille.
»… und deshalb habe ich mich auch von ihr scheiden lassen.«
»Ich habe mich von ihm scheiden lassen«, korrigierte Louise Ye Armonk. »Und konnte ihn bisher trotzdem nicht loswerden.«
»Ist ja auch egal«, sagte Mark zu Lieserl. »Vielleicht sollten Sie mit Ihrer Danksagung bis nach dem Essen warten.«
Das Mahl wurde von autonomen ’bots serviert. Ein ’bot – vermutlich ein Virtueller – bediente Mark und Lieserl.
Die Speisen waren, was Louise Ye Armonk als ›traditionell britisch‹ bezeichnete – genau in der Art, die eine Person namens ›Brunel‹ früher zu einem solchen Anlaß auch goutiert hätte. Skeptisch musterte Lieserl die Teller mit synthetischem Tierfleisch. Immerhin genoß sie den Wein und den Geschmack frischen Obstes; mit diskreten subvokalen Instruktionen gestattete sie sich einen leichten Schwips.
Die Konversation lief ziemlich flüssig, kam Lieserl jedoch etwas gestelzt und inhaltslos vor.
Während des Essens beugte sich Froschfängerin zu ihr hinüber. »Lieserl…«
»Ja?«
»Warum bist du denn so alt?«
Uvarov, der verkrüppelte Chirurg, warf den Kopf zurück und stieß erneut sein gespenstisches Gelächter aus. Froschfängerin wirkte verwirrt, sogar niedergeschlagen. Während sie Uvarov beobachtete, spürte Lieserl, wie in ihr eine tiefe und starke Abneigung aufzukeimen begann.
Sie lächelte Froschfängerin aufmunternd zu. »Es ist alles in Ordnung, mein Liebes.« Sie spreizte die Hände, straffte die dünnen Häutchen zwischen Daumen und Zeigefinger und tauchte in die neue Realität der Wahrnehmung ein. »Auf diese Art erinnere ich mich nämlich an mich selbst. Ich habe diese virtuelle Hülle vermutlich deswegen ausgesucht, weil sie mein Innenleben am besten zum Ausdruck bringt.«
»Hast du so ausgesehen, bevor du in die Sonne geladen wurdest?« fragte Seilspinnerin.
»Ja… obwohl ich zum Zeitpunkt meiner Transferierung etwas älter als meine aktuelle Projektion war. Du siehst, man hatte mich wirklich an Altersschwäche sterben lassen… ich war der erste Mensch seit langem, dem das passiert ist.«
Nun erzählte sie ihnen, was für ein Gefühl das gewesen war – die Gebrechen des Alters, die rheumatischen Augen, die Inkontinenz und schlaffen Muskeln –, aber dann hob Seilspinnerin die Hand. Sie lächelte aus großen Augen hinter der Brille. »Das wissen wir, Lieserl. Wir werden dich für eine Weile mit in den Wald nehmen; wir werden dir alles über ihn erzählen.«
Das Mahl wurde mit Kaffee und Brandy abgerundet, der von den diskreten ’bots serviert wurde. Lieserl machte sich nicht viel aus dem Brandy, aber das Aroma des Kaffees genoß sie, virtuell oder nicht.
Mark quittierte diese Würdigung mit einem Nicken. »Die Authentizität des Kaffees ist kein Zufall. Ich habe Jahre gebraucht, bis das Aroma stimmte. Nachdem ich in dieser virtuellen Existenz gestrandet war, habe ich mehr Zeit in die Synthese von Kaffee investiert als in sonst etwas.« Seine blauen Augen strahlten. »Ausgenommen vielleicht Sex…«
Verlegen senkte Lieserl den Blick.
Allerdings hatte Marks provokative Bemerkung sie zum
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