Xeelee 3: Ring
spielte. »Ich habe diese Vögel fünf Millionen Jahre lang beobachtet. Die ganze Zeit über haben sie ihr Verhaltensmuster beibehalten; ich habe keinen Grund zu der Annahme, daß sie es ausgerechnet jetzt ändern werden. Und Ihre Beobachtungen zeigen, daß auch jeder andere Stern, soweit wir wissen, bewohnt ist…«
»Infiziert«, grollte Uvarov. »Diese Ihre Vögel – diese Kreaturen aus Dunkelmaterie –, sie sind unsere wirklichen Feinde.«
Louise wandte sich an Lieserl. »Glauben Sie, daß er auch in dieser Beziehung recht hat?«
Lieserl überlegte kurz. »Nein. Nicht ganz. Louise, ich kann nicht sagen, ob die Vögel überhaupt wissen, daß wir hier sind. Schließlich müssen wir genauso immateriell auf sie wirken wie sie auf uns.« Sie schloß die Augen; die Illusion der Augenlider war bemerkenswert akkurat, dachte sie abwesend. »Ich vermute, daß sie mich schon ziemlich früh bemerkt hatten… Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß ich den Eindruck hatte, sie wollten mich am Leben erhalten. Aber sie haben nie Anstalten getroffen, weitere Artgenossen von mir zu suchen. Und sie haben auch nie versucht, mit mir zu kommunizieren… Dennoch«, sagte sie überzeugt, »glaube ich nicht, daß wir die Photino-Vögel als Feinde bezeichnen können.«
Uvarov lachte. »Was, zum Teufel, sind sie dann? Sie entsprechen nämlich den meisten diesbezüglichen Kriterien, die ich mir vorstellen kann.«
Lieserl litt unter dem harschen Ton des hinfälligen alten Mannes, aber sie sprach weiter. »Ich glaube einfach nicht, daß es hilfreich ist, so von ihnen zu sprechen. Sie tun, was sie tun – sie verruchten unsere Sonne –, weil sie es eben nun mal tun. Indem sie die Lebenszyklen der Sterne beschleunigen, erschaffen sie ein besseres Universum für sich selbst, ihre Nachkommen und ihre Zukunft.« Sie versuchte es zu veranschaulichen. »Sie sind wie Insekten. Ameisen vielleicht.« Sie musterte die Tafelrunde. »Verstehen Sie? Diese Vögel realisieren ihre eigenen rassenspezifischen Imperative. Die zufällig mit den unseren kollidieren. Das ist alles.«
Mark nickte. »Ich glaube, daß Sie eine gute Analogie verwendet haben. Die Vögel müssen nach unseren Kriterien nicht einmal lebendig sein, um enorme Dinge zu bewirken – Veränderungen im kosmischen Maßstab. So, wie Sie ihren Lebenszyklus beschrieben haben, erwecken sie den Anschein von klassischen Selbstreplikations-Maschinen im von Neumannschen Sinne…«
Uvarov beugte sich nach vorn; sein Kopf schien auf dem dürren Hals zu rollen. »Hört mir mal zu. Lebendig oder nicht, bewußt oder nicht, die Photino-Vögel sind unsere ewigen Urfeinde. Denn sie bestehen aus Dunkelmaterie, und wir aus baryonischer Materie.«
Louise leerte ihr Brandyglas und füllte es nach. »Vielleicht ist das so. Aber für den größten Teil der Menschheitsgeschichte – soweit wir durch die alten Suprahet-Projektionen und die von Lieserl vorgelegten Berichte orientiert sind – galten immer die Xeelee als Hauptfeind der Menschheit.«
Uvarov lächelte unheimlich. »Das stelle ich ja auch gar nicht in Abrede. Aber weshalb sollten Sie sich über eine derart krasse Fehleinschätzung überhaupt wundern? Liebe Freunde, selbst die nur wenige Jahrtausende dauernde Menschheitsgeschichte vor unserer Verabschiedung von den Zeitströmen in der Northern ist eine Litanei gravierender Irrtümer gewesen: Die tragikomische Ausprägung tief in unseren Seelen verankerter Schwächen, eine Abfolge lächerlicher, von vornherein zum Scheitern verurteilter Unternehmungen, die durch Illusionen und Täuschungen motiviert wurden. Ich verweise nur auf die Historie der Religionskonflikte und Wirtschaftsideologien. Und ich habe keinen Grund zu der Annahme, daß die Menschen nach unserem Abflug schlauer geworden sind.« Er wandte Mark den Kopf zu. »Sie waren Sozioingenieur, bevor Sie den Löffel weggelegt haben«, konstatierte er taktlos. »Sie werden meine Aussagen bestätigen. Ich habe den Eindruck, daß der Xeelee-Krieg – oder die Kriege – lediglich ein weiterer katastrophaler, epochaler Irrtum der Menschheit waren. Wir wissen, daß die Xeelee auf einer höheren geistigen Ebene residierten, welche die Menschen nie erreichen konnten: Dazu muß man sich nur dieses erstaunliche Raumschiff, den Nightfighter betrachten, um das zu erkennen. Aber die Menschen – weil sie eben Menschen waren – konnten das nie akzeptieren. Die Menschen glaubten, die Xeelee herausfordern zu müssen: sie wollten sie stürzen und selbst kleine
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