Xeelee 3: Ring
Seilspinnerin. »Im Mittelpunkt der großen Implosion. Das ist der große Attraktor.« Der Ort, auf den alle Galaxien zustreben…
»Ja. Dort scheint es eine Massenkonzentration zu geben, die Galaxien im Umkreis von Hunderten von Millionen Lichtjahren anzieht. Der Attraktor ist einhundertfünfzig Millionen Lichtjahre von Sol entfernt, und mit der Masse von zehntausend Galaxien…«
Seilspinnerin starrte auf das Spielzeuguniversum und spürte, wie ihr Herz flatterte. »Und wenn es wirklich ein Artefakt ist…«
»Wenn es ein Artefakt ist, dann ist es so massiv, daß es Supercluster wie Motten anzieht, Seilspinnerin; so massiv, daß es in diesem Raumsektor sogar der Expansion des Universums entgegenwirkt… Es ist ein Artefakt jenseits unserer Vorstellung.«
Ja, dachte Seilspinnerin. Jenseits unserer Vorstellung. Und genau dorthin sind wir unterwegs…
25
»ICH WEISS WIRKLICH NICHT, warum du mich hier in den Wald hochschleifen mußtest«, grummelte Louise. »Ausgerechnet jetzt. Hättest du denn nicht so lange warten können, bis du sichere Daten hattest?«
»Aber die Daten…«, wandte Mark ein.
»Sind lückenhaft, unvollständig und kaum schlüssig. Was hast du denn schon vorzuweisen – außer zwei Doppelbildern?«
»Aber die Spektralanalyse der Doppelbilder der Galaxis ist in beiden Fällen fast perfekt. Ich sage dir, daß es sich um einen String handeln muß«, insistierte Mark.
»Und ich sage dir, daß das unmöglich ist«, knurrte Louise. Sie spürte, daß sie zunehmend gereizter wurde. »Wie sollte denn ein kosmischer String mitten in einem Leerraum wie diesem entstehen?«
Uvarov hob seinen totenkopfartigen Schädel und keckerte vor Freude über den Konflikt.
Die drei hingen direkt unter der Wald-Himmelskuppel. Louise stand auf einem Null-Gravo-Gleiter, und Uvarov war in einem ausgemusterten Schleudersitz plaziert worden, den man mit dreien der flexiblen kleinen Gleiter gekoppelt hatte.
Irritierenderweise hatte Mark es vorgezogen, sich als doppelt lebensgroßer, körperlos in der Luft schwebender Kopf zu manifestieren. »Wie geht es Seilspinnerin?« fragte er Louise.
»Sie hält die Stellung. Unsere Mission dauert jetzt schon dreiunddreißig Tage – das sind für Seilspinnerin dreiunddreißig Tage am Steuer. Und die letzten zehn Minuten in diesem verdammten Loch im Himmel.«
»Nun, das ist wirklich ein spannender Abschnitt der Reise«, kommentierte Mark. »Wir kreuzen den Rand eines der größten jemals entdeckten kosmologischen Leerräume: Mit einem Durchmesser von über zweihundert Millionen Lichtjahren. Soviel wir wissen, sind wir die einzigen Splitter baryonischer Materie in diesem riesigen Raum. Das ist selbst ohne meinen Nachweis eines kosmischen Strings ein erregender Gedanke…«
»Aber nicht sehr erregend für Seilspinnerin«, bemerkte Louise trocken. »Denn für sie bedeutet diese Leere bloß eine sensorische Deprivation.«
»Hmm«, machte Uvarov. »Das Universum als ein riesiger sensorischer Deprivationstank… Vielleicht ist das eine gute Metapher, um das kosmische Handwerk der Photino-Vögel zu verdeutlichen.«
Jetzt überzogen schematische Abbildungen entfernter Galaxien – ganze Schichten von ihnen, am Rand der großen Leere – die Kuppel mit Falschfarbendarstellungen; hier und da durchsetzten Fragmente von Texten und zusätzlichen Abbildungen die insektengleichen galaktischen Schwärme.
Marks Kopf schwenkte zu Louise hinüber. »Schau, es tut mir leid. Ich weiß, du hältst es für unangebracht, daß ich dich hier heraufgeholt habe. Vielleicht hätte ich wirklich einen Beweis für die Existenz des Strings abwarten sollen. Nun, ich hatte nicht bedacht, daß wir aus wissenschaftlichen Gründen dort draußen waren. Ich dachte, daß wir nach Überlebensmöglichkeiten suchen – herausfinden, was uns bevorsteht. Und das heißt, so schnell und flexibel wie möglich zu reagieren – und zu denken, Louise. Gut, vielleicht spekuliere ich auch nur. Aber – was, wenn es wirklich einen kosmischen String dort draußen gibt? Hast du darüber schon einmal nachgedacht?«
Unsicher blickte Louise zur Kuppel hoch. »Wenn es – hier – wirklich einen String gibt, dann steuern wir womöglich auf etwas Außergewöhnlicheres zu, als wir erwartet haben.«
Uvarov lachte glucksend. »Vielleicht sollten wir uns lieber an die Fakten halten, mein lieber Mark.«
»Es gibt keine Fakten«, erwiderte Louise. »Nur eine Handvoll Beobachtungen. Und – über Entfernungen, die in mehreren hundert
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