Xeelee 3: Ring
mein Konto. Ich habe nur die Konstruktion implementiert, die…«
Plötzlich empfand sie intensives Mitleid für diesen narbigen, verkümmerten Mann. »Sie sollten sich nicht unterschätzen«, sagte sie aus einem Impuls heraus. »Glauben Sie mir, Sie haben so viel erreicht…«
»Für einen Verrückten?« fragte er entwaffnend. Er lächelte sie an. »Ich weiß, daß Sie mich für eine ziemlich verrückte, starrköpfige Person halten, Lieserl.«
Konsterniert öffnete sie den Mund, um das zu dementieren, aber er hob die Hand.
»Nun, vielleicht stimmt das ja auch. Aber ich war hauptsächlich für die Teams der ’bots verantwortlich, die diesen Rahmen für den Nightfighter konstruiert hatten. Ich weiß, daß unsere Sensoren uns mehr über den Zustand der Infrastruktur erzählen könnten, die uns an diesen Nightfighter fesselt, als mein bloßes Auge jemals erkennen könnte. Und dennoch…«
»Und trotzdem wollen Sie selbst einen Blick darauf werfen?« Sie lächelte. »Sie irren sich, Planer. Sie sind zwar nicht gerade die unkomplizierteste Person, mit der ich je zu tun hatte, aber ich glaube nicht, daß Sie so dumm sind, nicht Ihren Instinkten zu folgen.«
Er musterte sie mit kühler Analytik. »Meinen Sie?«
»Ich weiß es«, entgegnete sie fest. »Schließlich war das der einzig relevante Aspekt meines Aufenthaltes in der Sonne – im Grunde meiner ganzen Existenz. Eine Menge Sonden wurden vor mir und nach mir in die Sonne geschickt. Ich wurde dort stationiert – zumindest in virtueller Form –, damit menschliche Augen sehen konnten, was sich dort ereignete.«
Er grunzte. »Obwohl wir scheinbar herzlich wenig Gebrauch von den Einblicken machen, die Sie erhalten haben.«
»Das ist gut möglich.« Sie lachte. »Aber darauf habe ich keinen Einfluß.«
Er musterte sie. »Sie mögen vielleicht eine Virtuelle sein«, sagte er dann. »Aber, Lieserl, trotzdem ist Ihre Menschlichkeit kraftvoll und offensichtlich.«
Das verwirrte sie. Sie zwang sich, den Kopf gerade zu halten. Sie erteilte subvokale Befehle, wodurch sie die autonome Simulation ihres Gesichts deaktivierte; sie wollte partout vermeiden, daß sich ihre Wangen auch nur ansatzweise röteten. »Danke«, meinte sie leichthin. »Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob Sie überhaupt Dank brauchen. Sie gehen auch nicht gerade verschwenderisch mit Komplimenten um, stimmt’s?
Ich vermute, daß Sie wohl nie ein Lob aussprechen, Planer; vielmehr würdigen Sie nur.«
»Vielleicht«. Er wandte sich ab, womit das Thema beendet war.
Sie studierte sein ramponiertes Profil. Milpitas vermittelte den Eindruck eines kontrollierten Mannes, aber vielleicht vergab er sich damit mehr, als er im Gegenzug dafür erhielt. Für Milpitas war die Vermittlung von Informationen nur eine Funktion – und noch dazu eine nachgeordnete – der Sprache. Der eigentliche Zweck der Kommunikation war für ihn Kontrolle. Sie spürte, daß er permanent im Clinch mit ihr lag – ihre Präsenz und Willensstärke testete.
Milpitas war ein Mann, der an Macht und ihre Ausübung gewöhnt war, selbst in der trivialsten Unterhaltung. Aber was für ein Mensch war das, der sich – nach Jahrhunderten subjektiver Existenz – noch die Mühe machte, sich mit einer erschöpften alten Virtuellen wie ihr zu duellieren?
Milpitas setzte seine Inspektion fort, langsam und methodisch.
Vielleicht war er etwas weniger als menschlich – vielleicht sogar noch weniger als sie, überlegte sie. Dennoch – so konzedierte sie zögernd – verfügte Milpitas über einen starken Kern, den sie bewundern mußte.
Milpitas war gezwungen worden, den Zerfall seiner Welt – eine Welt, die er kontrolliert hatte – mit eigenen Augen zu erleben. Und er hatte hart für ihre Bewahrung gekämpft. Aber dann hatte er den Kampf eingestellt, als er merkte, daß seine alte Welt gar nicht mehr existierte – daß seine Glaubenssätze keinen Bestand mehr haben konnten.
Und genau das machte es so schwer für ihn. Das, sagte sie sich, war der Punkt ohne Umkehr für die endlosen Legionen der Märtyrer gewesen, welche die blutige Geschichte der Menschheit markierten. Und seither hatte er funktioniert – sich in der Mission engagiert.
Sie grinste. »Ich halte Sie für härter, als Sie wirken, Planer Milpitas. Ich meine, schließlich ist es Ihnen gelungen, aus dem Gefängnis Ihrer Vergangenheit auszubrechen…«
Er wandte sich um. »Aber die Vergangenheit ist eben kein Gefängnis«, erwiderte er leise. »Die Vergangenheit wird ständig
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