Xeelee 3: Ring
Der String würde schnell zerfallen, tausendfach tranchiert, und seine Energie in Form von Gravitationsstrahlung abgeben.«
Plötzlich wünschte sich Seilspinnerin, daß sie nicht menschlich wäre: Daß sie zusehen könnte, wie sich die Bewegung dieser Schleife entfaltete, ohne auf Marks bunte Projektionen angewiesen zu sein. Wie wundervoll es sein würde, die Zeit verlassen zu können!
Schließ die Augen, Seilspinnerin.
»Was?«
Du kannst die Zeit verlassen, genauso wie du es dir wünschst. Schließ die Augen, und stell dir vor, du wärst Gott.
… Und da!, vor ihrem geistigen Auge – so viel dramatischer als jede Virtuellprojektion! – erschien der Knoten des Strings und verschwand aus dem Weltraum. Der Knoten krümmte sich wie ein riesiger Wurm und ringelte sich zusammen, als ob er seinen eigenen Schwanz verschlucken wollte.
Der Knoten kollidierte mit dem Rand der schutzlosen Galaxis und brach zum Kern durch, wobei er Sterne wie Grasbüschel beiseite fegte.
Es war ein beunruhigendes, erstaunliches Bild. Sie riß die Augen auf und blendete die Vision aus; Angst überkam sie und kribbelte auf der Haut.
Normalerweise war sie nicht so phantasievoll, sagte sie sich nüchtern. Vielleicht hatte ihr Begleiter etwas mit dieser kurzen, lebendigen Vision zu tun…
Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die harmlos wirkende Virtuelldarstellung. Nun zeigte Mark Seilspinnerin das von der Schleife induzierte Magnetfeld, ein gelbes energiereiches Glühen, welches das Falschfarbenblau des Strings überlagerte.
»Auf seinem Weg durch das Magnetfeld der Galaxis strahlt dieser String eine Menge elektromagnetischer Energie ab«, erläuterte Mark. »Ich sehe eine Flut von Hochenergie-Photonen…«
Kosmische Strings waren im Grunde nicht eindimensional; sie harten einen Durchmesser von einer Plankschen Wellenlänge, eine dünne Röhre, die geladene Teilchen enthielt: Quarks, Elektronen und ihre Antiteilchen, die in Superschweren Clustern zusammengeballt waren. Infolgedessen wirkten Strings wie Supraleiter.
Der String-Knoten schob sich durch das Magnetfeld dieser Galaxis. Auf seinem Kurs wurden extreme elektrische Ströme – hundert Milliarden Ampere oder mehr – in dem String induziert. Diese Ströme erzeugten ihrerseits starke Magnetfelder um den String.
Das induzierte Feld des Strings war stärker als das eines Neutronensterns und dominierte den Raum in einem Radius von Dutzenden von Lichtjahren um den Knoten.
»Der String kann mit einem Hochleistungskondensator verglichen werden«, erklärte Mark. »Wenn seine Kapazität erschöpft ist, beginnt der String Energie zu emittieren. Gammastrahlung regt ihn zum Glühen an. Und die abgegebene Energie kristallisiert zu Materie: Ionen und Elektronen, die auf ganzer Länge des Strings generiert werden.« Seilspinnerin sah Darstellungen von Partikeln – natürlich nicht maßstabsgetreu –, die um die Abbildung des Strings erzeugt wurden. »Deshalb glüht der String so hell wie ein Stern.«
»Ja«, bestätigte Louise. »Aber die Verteilung der Strahlung ist merkwürdig, Mark. Sieh mal hin. Die Strahlung wird in Flugrichtung der Schleife emittiert – parallel zu diesem nach vorne gerichteten Vektor aus Gravitationsstrahlung.«
»Wie ein Suchscheinwerfer«, sagte Morrow.
Oder ein Speer…
»Mark, wodurch wird der String überhaupt angetrieben?« hörte sie Morrow fragen. »Was läßt ihn durch das All und in diese Galaxis fliegen?«
»Gravitationsstrahlung«, entgegnete Mark einfach.
»Morrow«, sagte Louise, »immer wenn sich große Massen durch den Raum bewegen, werden Gravitationswellen emittiert. Weil die Schleife asymmetrisch ist, sendet sie ihre Gravitationsstrahlung in bestimmte Richtungen aus – in nach vorne und hinten gerichteten Vektoren. Sie übt ein Drehmoment aus… Sie ist quasi eine Gravitationsrakete, die mittels ihrer Strahlung durch das All fliegt.«
»Natürlich führt die Gravitationsstrahlung Energie ab«, ergänzte Mark. »Der String schrumpft langsam. Schließlich wird er sich in Nichts auflösen.«
»Aber nicht schnell genug, um diese Galaxis zu retten«, knurrte Uvarov.
»Nein«, bestätigte Louise. »Bevor der String noch Zeit zum Zerfallen hat, wird er den Kern erreichen – und die Galaxis verwüsten.«
Schließ die Augen.
Ein Schauder lief durch Seilspinnerin. Erneut war diese Stimme zu ihrer Linken zu hören gewesen – von irgendwo außerhalb ihres Anzugs. Sie starrte auf das Virtuellbild auf dem Helmvisier und wagte nicht, sich
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