Xeelee 3: Ring
umzuschauen.
Schließ die Augen. Denk wieder an deine Vision – von der String-Schleife, die durch die Sterne schneidet. Du hast dich deswegen gefürchtet, nicht wahr? Was war die Bedeutung dieses Bildes, Seilspinnerin? Was wollte es dir sagen?
Plötzlich verstand sie.
»Mark«, sagte sie. »Das ist nicht nur eine Gravitationsrakete.«
»Was?«
»Denk mal nach. Der String-Knoten muß eine Waffe sein.«
Die Abbildungen der Galaxis erloschen und ließen Mark und Lieserl in einer dunkelrot glühenden Finsternis zurück. Dann begannen neue Formen vor diesem Hintergrund zu entstehen: unscharfe Lichtpunkte, welche die geisterhaften Umrisse eines Torus definierten, der in ihre Richtung gekippt war.
»Das ist natürlich eine Falschfarbendarstellung«, sagte Mark. »Die Abbildungen sind anhand von Gravitationswellen- und Gammastrahlenemissionen rekonstruiert worden…«
In seiner Gesamtheit erinnerte sie der Torus entfernt an die Saturnringe; es war ein Kreis, der den von Galaxien gesäumten Leerraum umspannte.
Zunächst dachte sie, daß es sich bei den Flecken nur um Lichtpunkte handelte: In ihren Augen glichen sie Sternen oder Diamanten, die vor dem samtenen Hintergrund des trüben galaktischen Lichts verstreut waren. Als sie dann jedoch gründlicher hinsah, konnte sie erkennen, daß einige der näheren Objekte keine schlichten Punkte waren, sondern bestimmte Strukturen aufwiesen.
Also handelte es sich nicht um Sterne, dachte sie, und genauso wenig war das eine schwindsüchtige Galaxis: Es gab nur (so schätzte sie schnell) ein paar tausend der leuchtenden Entitäten, im Gegensatz zu den Milliarden Sternen in einer Galaxis… Und außerdem war dieser den Leerraum umspannende Torus immens: Sie konnte sehen, daß die blutroten Leichen von Galaxien durch seine ätherische Struktur flogen.
Sie wußte, daß die Galaxis der Menschheit eine Sternenscheibe mit einem Durchmesser von hunderttausend Lichtjahren gewesen war. Dieser Torus mußte mindestens hundertmal so groß sein – mit einem Durchmesser von mehr als zehn Millionen Lichtjahren.
Sie wandte sich Mark zu; er studierte ihr Gesicht, wobei nun eine gewisse Güte in seinen Augen stand. »Ich weiß, wie du dich fühlst. Es ist großartig, nicht wahr?«
»Das kann nicht der Ring sein«, sagte sie langsam. »Oder? So weit wir wissen, hat Jim Bolder von einem festen Objekt gesprochen – einem einzigen, räumlich begrenzten Artefakt.«
»Sieh gründlicher hin, Lieserl. Trickse ein bißchen; schalte die optischen Verstärker ein. Was siehst du jetzt?«
Sie drehte den Kopf und erteilte subvokale Befehle.
Ein Abschnitt des Torus explodierte auf sie zu; die schnell auseinanderstrebenden Fragmente vermittelten ihr einen kurzen, desorientierenden Eindruck plötzlicher Geschwindigkeit.
Ihre Sicht stabilisierte sich. Jetzt schien es ihr, als ob sie sich im Torus selbst befinden würde, und die funkelnden Objekte hüllten sie ein.
Bei den Fragmenten handelte es sich nicht um schlichte Scheiben – bzw. Ellipsen oder die sonstigen Formen, zu denen ein Stern oder eine Galaxis durch die Präsenz einer anderen verzerrt werden konnte. Vielmehr konnte sie Dunkelheit im Herzen dieser Objekte erkennen.
Die Fragmente waren Knoten.
»Mark…«
»Was du siehst, sind Schleifen kosmischer Strings«, sagte er ruhig. »Dieser gigantische Torus besteht aus String-Schleifen, Lieserl – zehntausend, jede mit einem Durchmesser von tausend Lichtjahren.«
Sie spürte, wie sich ihre Hand konvulsivisch um die seine schloß. »Ich verstehe nicht. Das ist ja – phantastisch. Aber es ist nicht der Ring, den Bolder beschrieben hat.«
Sein Blick war sehnsüchtig. »Aber er muß es sein. Wir wissen, daß wir den richtigen Ort erreicht haben, Lieserl. Dies ist zweifellos die Position des Großen Attraktors: Die Schleifen verfügen zusammen über eine ausreichende Masse, um die lokale Konvergenz von Galaxien zu verursachen.
Und wir wissen auch, daß dieses Arrangement künstlich sein muß. Urzeitliche String-Schleifen hätten sich nach der Entstehung des Universums herausbilden können, nach der Singularität. Aber dann hätte es nicht mehr als eine Million davon geben können – im ganzen Universum, Lieserl – und zwar in Abständen von Dutzenden Millionen von Lichtjahren. Es ist einfach nicht möglich, daß sich eine Kollektion von zehntausend der verdammten Dinger spontan in einem nur zehn Millionen Lichtjahre durchmessenden Leerraum versammelt…«
»Aber«, entgegnete Lieserl
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