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Xeelee 3: Ring

Xeelee 3: Ring

Titel: Xeelee 3: Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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durch die Luft rollten – und der Untersuchung komplexer, ringförmiger Simulationen von Sternenmodellen. Obwohl beide sichtlich beschäftigt waren, kümmerten sie sich trotzdem hingebungsvoll um sie. Sie lebte in einer glücklichen Welt aus Lächeln, Sympathie und Förderung.
    Ihre Eltern liebten sie vorbehaltlos. Aber das war nicht immer genug.
    Irgendwann begann sie, kompliziertere und detailliertere Fragen zu stellen. So etwa diese, warum sie derart schnell wuchs. Sie schien nicht mehr zu essen als die anderen Kinder, denen sie begegnete; was konnte also für ihren absurden Wachstumsprozeß verantwortlich sein?

    Woher wußte sie so viel? Sie war bei vollem Bewußtsein zur Welt gekommen, wobei sie sogar schon ansatzweise über Sprachvermögen verfügte. Die virtuellen Darstellungen, mit denen sie sich im Unterricht beschäftigte, waren zwar lustig, und sie lernte wohl auch immer etwas dazu; aber das waren dennoch nur Bruchstücke im Vergleich zu dem Erkenntniszuwachs, mit dem sie jeden Morgen aufwachte.
    Woher hatte sie das Wissen im Mutterleib bezogen? Woher bezog sie es jetzt?
    Die seltsame kleine Familie hatte einige schlichte, intime Rituale entwickelt. Lieserls Steckenpferd war, jeden Abend das Schlangen- und Leiterspiel zu spielen. George hatte ein altes Spiel mitgebracht – ein echtes Brett aus Pappe mit Spielsteinen aus Holz. Eigentlich war Lieserl schon zu alt für dieses Spiel; aber sie liebte die Gesellschaft ihrer Eltern, die intelligenten Witze des Vaters, die einfache Herausforderung des Spiels und das Gefühl der abgenutzten, antiken Steine.
    Phillida zeigte ihr, wie sie sich selbstdefinierte Brettspiele programmieren konnte. Ihre am elften Tag erfolgten ersten Bemühungen erbrachten schlichte, regelmäßige Formen, im Grunde Kopien der handelsüblichen Spiele, die sie bereits kannte. Aber bald begann sie zu experimentieren. Sie konzipierte ein großes Brett mit einer Million Feldern, das einen ganzen Raum bedeckte – sie konnte über das Brett laufen, eine waagrechte, etwa in Hüfthöhe befindliche Ebene aus Licht. Sie bestückte das Brett mit komplexen, gewundenen Schlangen, großen Leitern und kräftig glühenden Feldern – alles höchst detailliert.
    Am nächsten Morgen ging sie voller Vorfreude in das Zimmer, in dem sie das Brett aufgebaut hatte – und wurde umgehend enttäuscht. Ihre Bemühungen wirkten blaß, statisch, wie kopiert – offensichtlich das Werk eines Kindes, trotz der Unterstützung durch die virtuelle Software.
    Sie leerte das Brett und hinterließ ein in der Luft schwebendes Gitter aus hellen Feldern. Dann schickte sie sich an, es erneut zu bevölkern – diesmal jedoch mit bewegten, halbmenschlichen Schlangen und mobilen ›Leitern‹ in hundertfacher Ausprägung. Sie hatte gelernt, sich Zugang zu den Virtuellen Bibliotheken zu verschaffen, und sie plünderte die Kunst und die Geschichte Dutzender Jahrtausende, um das Brett zu beleben.
    Natürlich war es jetzt nicht mehr möglich, auf dem Brett zu spielen, aber darauf kam es auch gar nicht an. Das Brett war das Ziel, eine kleine Welt für sich. Sie zog sich etwas von ihren Eltern zurück und verbrachte viele Stunden mit intensiven Recherchen in den Bibliotheken. Sie gab den Unterricht auf. Ihre Eltern schienen keine Einwände zu haben; sie unterhielten sich regelmäßig mit ihr, interessierten sich für ihre Projekte und respektierten ihre Privatsphäre.
    Auch am nächsten Tag galt ihr Interesse noch dem Brett. Aber jetzt konzipierte sie komplexe Spiele, unterteilte das Brett durch willkürlich gezogene Grenzen aus glühendem Licht in Länder und Reiche. Bei der schematischen Rekonstruktion der großen Ereignisse der Menschheitsgeschichte stießen Armeen aus Leitern auf Legionen von Schlangen.
    Sie schaute zu, wie die Symbole über das virtuelle Brett flackerten, aufleuchteten und verschmolzen; sie entwarf ausführliche Chroniken der Geschichte ihrer imaginären Länder.
    Am Ende des Tages begann sie sich indessen mehr für die von ihr konsultierten historischen Texte selbst zu interessieren als für deren Interpretation. Sie ging zu Bett und konnte es kaum erwarten, daß der nächste Tag anbrach.

    Sie erwachte im Dunklen, verkrampft vor Angst.
    Sie forderte Licht an. Sie setzte sich im Bett auf.
    Die Bezüge waren blutbefleckt. Sie schrie auf.

    Phillida setzte sich zu ihr und wiegte ihren Kopf. Lieserl schmiegte sich an die Wärme ihrer Mutter und versuchte, das Zittern zu unterdrücken.
    »Ich glaube, es ist Zeit,

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