Xeelee 4: Flux
Interaktion, die mein armer, zerstreuter Vater anscheinend nicht wahrnimmt.« Nun schaute Hork Muub durchdringend an; der Arzt zuckte unter diesem Blick zusammen. »Und du«, sagte Hork. »Glaubst du, daß eine Rebellion in der Luft liegt?«
Muub dachte gründlich nach. Er wußte, daß er selbst über jeden Verdacht erhaben war; aber er wußte auch, daß der Vizepräsident – im Gegensatz zu seinem Vater – alles sorgfältig registrierte, was ihm zu Ohren kam. Und Hork hatte Dutzende, wenn nicht Hunderte von Informanten in Parz und im Hinterland stationiert. »Nein, Sir. Es herrscht zwar große Unzufriedenheit, und viele Leute machen das Komitee für unsere mißliche Lage verantwortlich; aber wirkliche Gefahr besteht nicht.«
»Glauben sie etwa, wir hätten den Störfall provoziert?« Hork wand sich in seinem Kokon, wobei das Leder über seinem massigen Leib Falten warf. »Wenn das wenigstens zutreffen würde«, sinnierte er. »Wenn die Störfälle wirklich von Menschen verursacht wären und auf Kommando abgestellt werden könnten. Aber die Gelehrten sagen uns – wobei sie die wenigen Erkenntnisse zitieren, die nach der Reformation noch politisch korrekt sind –, daß die Menschen von den Ur-Menschen zu diesem Mantel gebracht und so modifiziert wurden, daß sie hier überleben konnten. Wenn wir früher die Kontrolle über unser Schicksal besaßen, weshalb sollten wir dann nicht versuchen, sie wiederzuerlangen?« Er lächelte. »Was, Doktor?«
Muub erwiderte das Lächeln. »Sie sind ein kluger Mann, Sir, und es freut mich, solche Dinge mit Ihnen zu erörtern. Aber ich würde es vorziehen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Auf das Machbare.«
Horks Blick verdüsterte sich, und seine Haar-Röhrchen wogten mit einer Eleganz, die Muub daran erinnerte, daß er kein einziges Haar mehr auf dem Kopf hatte. »Möglich. Aber wir sollten nicht vergessen, daß die Reformer vor zehn Generationen genauso argumentiert hatten. Und nach ihren Säuberungen und Vertreibungen sind wir auf ein derart niedriges Niveau zurückgefallen, daß wir nicht einmal mehr imstande sind, den von ihnen angerichteten Schaden zu ermessen…
Im übrigen habe ich gar keine Angst vor einer Revolte, Doktor. Eher mache ich mir Sorgen um die Regierung – das heißt um die Lebensfähigkeit unseres Staats, unabhängig davon, wer nun auf dem Stuhl meines Vaters sitzt.« Nun wandte der Mann Muub das breite, feiste Gesicht zu; es drückte ungewohnten Zweifel aus. »Verstehst du mich, Muub? Ich sage dir, daß es innerhalb und außerhalb des Hofs verdammt wenige gibt, die mich verstehen.«
Muub war – nicht zum erstenmal – von der Intelligenz des jüngeren Hork beeindruckt. »Wenn ich Sie richtig verstehe, befürchten Sie, daß eine organisierte Gesellschaft wie Parz City unter den durch die Störfälle erschwerten Bedingungen keinen Bestand hat. Da spielt es auch keine Rolle mehr, ob eine Rebellion ausbricht. Die Zivilisation an sich ist zum Untergang verurteilt.«
»Exakt«, sagte Hork fast dankbar. »Keine Stadt mehr – weder Steuereintreiber noch Krusten blumen-Parks, weder Künstler noch Wissenschaftler. Und auch keine Ärzte mehr. Wir werden alle flußaufwärts schwimmen und Schweine jagen müssen.«
»Es gibt jetzt schon einige Leute, welche die Steuereintreiber lieber von hinten sehen«, sagte Muub lachend.
»Nur Narren sehen nicht die Vorteile. Wenn die Leute nicht nur ihre Schweineherden zusammenhalten, sondern auch noch von Hand alle benötigten Werkzeuge anfertigen müssen, wie der ärmste Oberströmler, dann werden sie sich noch nach der Besteuerung zurücksehnen.«
Muub runzelte die Stirn und kratzte sich am Auge. »Glauben Sie, daß ein solcher Kollaps bevorsteht?«
»Noch nicht«, sagte Hork. »Solange ein Störfall uns nicht voll trifft. Aber es wäre möglich, und die Wahrscheinlichkeit wird immer größer. Und nur ein Narr verschließt die Augen vor dem, was kommen könnte.«
Muub, der sich der Implikationen dieser Bemerkung durchaus bewußt war, drehte sich um und schaute auf die staubige, hell erleuchtete Pall Mall hinunter.
»Nun habe ich dich wohl in Verlegenheit gebracht«, knurrte Hork. »Komm schon, Muub, du benimmst dich auch schon so wie diese verdammten, schweinischen Höflinge. Ich schätze es, mit dir Konversation zu treiben. Ich wollte damit nicht sagen, daß mein Vater auch ein solcher Narr ist.«
»Aber er teilt nicht notwendigerweise deine Ansichten.«
»Nein, verdammt.« Hork schüttelte den Kopf.
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