Xeelee 4: Flux
seiner Mutter. Toba schüttelte den Kopf. »Ich wette, sogar die Ur-Menschen wären von zehntausend Mannhöhen beeindruckt gewesen. Immerhin ist das fast ein Zentimeter…«
Schließlich fuhr der Wagen durch eine schmale rechteckige Öffnung, die in Duras Augen bereits überfüllt war. Durch einen mit Menschen und Fahrzeugen verstopften Tunnel – eine ›Straße‹, wie Toba Mixxax es bezeichnete – drang der Wagen tiefer in die Stadt vor. Die Einwohner von Parz waren alle in schwere, bunte Kleider gepackt, und Dura hatte nicht den Eindruck, daß sie auch nur die geringste Furcht vor den Fahrzeugströmen empfanden. Nun verschwanden die Impressionen von einer Luftigen und hellen Stadt; die Tunnelwände traten zusammen, und der Wagen drang tiefer in die klamme Dunkelheit vor.
Schließlich erreichten sie eine Lücke in der Straßenbegrenzung, eine Öffnung, die zu einem helleren Ort führte. Dies war der Eingang zum Krankenhaus, wie Toba sagte. Stumm verfolgte Dura, wie Toba den Wagen routiniert durch den Verkehr lenkte und die Schweine dann sanft auf den Krankenhausparkplatz dirigierte. Nachdem der Wagen auf einem polierten Holzboden zum Stillstand gekommen war, verknotete Dura die Zügel, stand auf und streckte sich.
Irritiert schaute Farr ihn an. »Bist du etwa müde? Aber die Schweine haben doch die ganze Arbeit gemacht.«
Toba lachte und sah den Jungen aus verquollenen Augen an. »Wenn du erst mal selbst fährst, Junge, wirst du schon noch merken, was Müdigkeit ist.« Dann wandte er sich zu Dura um. »Wie dem auch sei, nun kommt der schwere Teil. Komm mit; du mußt mir helfen, den Leuten die Angelegenheit zu erklären.«
Toba öffnete die Tür. Als er den Griff losließ, zuckte Dura in Erwartung eines explosiven Druckausgleichs zusammen. Doch die Tür glitt fast lautlos auf. Ein Hitzeschwall ergoß sich in die Kabine; Dura spürte das Prickeln, mit dem die suprafluiden Kapillaren sich überall im Körper öffneten und ihn abkühlten.
Mit ungelenken Bewegungen führte Toba Dura und Farr aus dem Wagen. Dura legte die Hände auf das Geländer der Schleuse und wollte sich an ihr entlangziehen – doch statt dessen taumelte sie nach vorne und stieß so heftig mit dem Gesicht gegen Tobas Rücken, daß ihr die Nase schmerzte.
Toba torkelte durch die Luft. »He, nur mit der Ruhe. Keine Hektik.«
Dura entschuldigte sich. Unsicher betrachtete sie ihre Arme. Was war eben geschehen? So falsch hatte sie ihre Kräfte nicht mehr eingeschätzt, seit sie ein Kind gewesen war. Es hatte den Anschein, als ob sie plötzlich herkulische Kräfte erlangt hätte… oder aber sie war auf einmal so leicht wie ein Kind geworden. Sie kam sich plump vor und wurde obendrein von Gleichgewichtsstörungen befallen. Die Hitze war schier unerträglich.
Sie verlor die Zuversicht. Gereizt und ängstlich zugleich schüttelte sie den Kopf und versuchte, den kleinen Zwischenfall aus dem Bewußtsein zu verdrängen.
Der Parkplatz des Krankenhauses war eine Kuppel mit einem Durchmesser von fünfzig Mannhöhen. Dutzende von Wagen waren hier abgestellt, zum größten Teil ohne Besatzung und Gespanne: Zaumzeug und Zügel baumelten in der Luft, und eine Ecke war als Pferch für Luft-Schweine abgeteilt worden. Aus einem Wagen, der viel größer war als Tobas, wurden Patienten entladen: Verwundete, die zum Teil bewußtlos oder gar schon tot waren; man hatte sie wie Adda zu Bündeln geschnürt. Ein großer Mann führte die Aufsicht; er hatte keine Haare mehr auf dem Kopf und war in eine Robe aus edlem Tuch gehüllt. Leute – allesamt bekleidet – liefen mit besorgtem Gesichtsausdruck hastig zwischen den Wagen umher. Immerhin fanden ein paar von ihnen die Zeit, Dura und Farr mit neugierigen Blicken zu mustern.
Die Wände aus poliertem Holz waren so sauber, daß sie glänzten und das geschäftige Treiben auf dem Parkplatz reflektierten. Die Wände wurden von breiten Schächten durchbrochen, welche das Licht von draußen hereinließen. Große Räder ohne Laufflächen – Ventilatoren, wie Toba ihr sagte – rotierten in den Schächten und verteilten die Luft in der Kuppel. Langsam atmete Dura ein, um die Qualität der Luft zu beurteilen. Sie war frisch, wenn auch feuchtwarm und mit muffigen Schweine-Photonen durchsetzt. Doch da war noch etwas anderes, ein Duft, der ihr vertraut und fremd zugleich war…
Leute…
Das war es; die Luft war mit dem alles überlagernden, schalen Geruch von Leuten geschwängert. Sie fühlte sich in ihre Kindheit
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