Xeelee 4: Flux
Oberfläche eine zutiefst unglückliche Frau war. Sie erwiderte das Lächeln. »Ja, bitte.«
Kae griff in die Spalte im Baum und holte eine der dort abgestellten Schüsseln heraus, wobei sie darauf achtete, nicht das heiße Holz zu berühren. Die Schüssel bestand aus Holz, und das darin enthaltene Essen war eine dunkelbraune, unidentifizierbare Masse. Sie reichte Dura die Schüssel.
Die griff in die Schüssel und prüfte mit dem Finger die Temperatur des Essens. Es war heiß. Sie nahm den Brocken heraus. Die Oberfläche war pelzig, jedoch knusprig und knackig.
Sie sah Kae zweifelnd an. »Was ist das?«
»Erst probieren«, sagte Kae mit verschmitztem Blick.
Dura piekste in den Pelz. »Das ganze Ding?«
»Beiß einfach rein.«
Achselzuckend führte Dura den Brocken zum Mund. Die Oberfläche war elastisch und zäh, und der Pelz kitzelte den Gaumen. Dann platzte die Haut, und sie sabberte sich mit heißen, klebrigen Fleischbrocken voll. Sie würgte, doch dann wischte sie sich das Gesicht ab und schluckte das Zeug hinunter. Es war gehaltvoll, warm und fleischig. Nun biß sie in die Haut und kaute sie langsam. Sie war zäh und schmeckte fade. Anschließend saugte sie das restliche Fleisch aus, das sich noch in der Schale befand. Den harten Kern spuckte sie aus.
»Das ist gut«, sagte sie schließlich. »Was ist es?«
Kae warf die leere Schale in die Luft, tippte sie mit dem Zeigefinger an und versetzte sie in Rotation. »Ein Spin-Spinnen-Ei«, sagte sie. »Ich wußte, daß du es nicht kennst. Aber es ist die einzige Möglichkeit, es zu essen. In manchen Gegenden des Hinterlands gilt es als Delikatesse. Am Rande des Urwalds lebt sogar eine Gemeinde, die Spinnen nur der Eier wegen züchtet. Sehr gefährlich, aber auch sehr profitabel. Doch die Eier müssen besonders behandelt werden, damit das Aroma sich entfaltet.«
»Ich hätte es überhaupt nicht als Spinnen-Ei erkannt.«
»Sie müssen gleich eingesammelt werden, nachdem sie gelegt wurden – dann hat die junge Spinne sich noch nicht gebildet, und das Innere besteht nur aus einer Art Brei. Der harte Teil in der Mitte ist die Basis des Exoskeletts; die junge Spinne entwickelt sich nämlich im Skelett und verzehrt die Nährstoffe.«
»Danke für die Information«, sagte Dura trocken.
Kae lachte, öffnete einen Sack an der Hüfte und holte ein Stück Bierkuchen heraus. »Hier, nimm das. In Parz gibt es einen guten Markt für exotische Hinterland-Erzeugnisse wie dieses hier. Damit erzielen wir einen guten Nebenverdienst. Und wie wäre es nun mit einem Stück Schweinefleisch?«
»Ja. Bitte. Und dann würde mich interessieren, was dich zu diesen Holzkarawanen verschlagen hat.«
»Nur wenn du mir erzählst, was du hier so weit vom Oberlauf entfernt tust…«
Nach der warmen Mahlzeit und beschwipst vom Bierkuchen erzählte Dura Kae ihre Geschichte; und wenig später, im Glühen des Rads aus nuklearem Feuer, gab sie sie noch einmal vor den aufmerksam lauschenden Holzfällern zum besten.
Die auf dem Feuer stehenden Schüsseln waren leer. Die Unterhaltung schwächte sich allmählich ab, und Dura spürte, daß die Zusammenkunft sich dem Ende zuneigte.
Rauc löste sich von ihrem Mann und begab sich allein in den Mittelpunkt der kleinen Gruppe. Schweigend betrachtete sie das in den Baumstamm geschnittene Rad.
Schließlich erstarben die Gespräche ganz. Verwirrt betrachtete Dura die Szenerie. Die Atmosphäre änderte sich – sie wurde feierlich und traurig. Die Holzfäller zogen sich voneinander zurück und versteiften sich in der Luft. Dura betrachtete Kaes Gesicht. Mit großen, im Feuer leuchtenden Augen fixierte die Holzfällerin Rauc.
Nun rezitierte Rauc mit monotoner Stimme Namen, die Dura alle unbekannt waren. Raucs Stimme war leise, doch sie schien die Leute in den Bann zu ziehen. Dura lauschte der einschläfernden, rhythmischen Abfolge von Namen, die Rauc vor dem großen, ins Holz geschnittenen Rad vortrug.
Allmählich begriff Dura, daß es sich um die Namen von Opfern handelte. Aber wem oder was waren diese Leute zum Opfer gefallen? Folter, Krankheiten, Hunger, Unfällen; es waren die Namen von Toten, derer nun in dieser schlichten Zeremonie gedacht wurde.
Diese Namensliste mußte Generationen überspannen, sagte sie sich, und viele der aufgeführten Menschen waren schon so lange tot, daß ihre Biographie in Vergessenheit geraten war. Doch ihre Namen hatten überdauert, bewahrt von diesem friedfertigen Rad-Kult.
Und Leute, die im Himmel lebten, hatten
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