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Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Titel: Xeelee 5: Vakuum-Diagramme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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sich dem Rand näherte, verkürzte die Form des Floßes sich zu einer Ellipse, die wie ein Flickenteppich aussah. Rees erkannte die rußigen Schweißnähte an den Kanten der nächsten Platten, und während sein Blick über die deckartige Oberfläche glitt, verschmolzen die Platten zu einem Fleck, wobei der entgegengesetzte Rand der Scheibe einen flachen Horizont bildete.
    Schließlich stieg der Baum mit einem rauschenden Luftzug über den Rand des Floßes, und die Oberseite des Floßes entfaltete sich vor Rees. Gegen seinen Willen zog es ihn an den Rand des Baums. Er grub die Hände ins Laub und riss Augen und Mund weit auf, als die Flut aus Farben, Lärm und Bewegung über ihn hereinbrach.
    Das Floß war ein riesiger Teller, auf dem das Leben pulsierte. Lichtpunkte waren über die ganze Oberfläche verstreut. Auf dem Deck drängten sich Gebäude in allen Formen und Größen. Sie waren aus Holzbrettern und Wellblech errichtet und wie Spielzeug durcheinander gewürfelt.
    Ein Brodem unterschiedlichster Gerüche stieg Rees in die Nase – stechendes Ozon von den Maschinen am Rand, von den Werkstätten und Betrieben, Holzrauch aus Tausenden von Kaminen, exotische Küchengerüche aus den Hütten. Und Menschen – mehr, als Rees zu zählen vermochte, so viele, dass die Bevölkerung des Gürtels in dieser Menge glatt untergegangen wäre – flanierten in großen Strömen übers Floß. Hier und da brachen Scharen von herumtollenden Kindern in fröhliches Gelächter aus.
    Er sah massive, auf dem Deck verschraubte Pyramiden, von denen keine mehr als Hüfthöhe hatte. Aus jeder Pyramide stieg ein Kabel senkrecht in die Luft. Rees legte den Kopf in den Nacken, um ihrem Verlauf zu folgen, und schnappte nach Luft.
    An jedem Kabel war ein Baumstamm vertäut. Für Rees hatte ein fliegender Baum schon an ein Wunder gegrenzt. Und nun sah er, dass über dem Floß ein riesiger Wald wucherte. Die senkrechten Trossen waren straff gespannt, und Rees spürte fast den Widerstand, den die Bäume der Anziehungskraft des Kerns entgegensetzten.
    Hunderte von Fragen schwirrten Rees im Kopf herum. Wie mochte es sein, auf der Oberfläche des Floßes spazieren zu gehen? Wie die Erbauer des Floßes sich wohl gefühlt hatten, als sie in der Leere über dem Kern hingen?
    Nun war aber nicht die Zeit für solche Überlegungen; es gab Arbeit. Pallis stauchte Gover schon wieder zusammen. Rees stand auf und krallte die Zehen ins Laub wie ein richtiger Waldläufer.
    Pallis kam zu ihm, und sie beschickten gemeinsam einen Feuerkessel.
    »Rees, du hast doch mit Sicherheit keine Vorstellung davon, wie es auf dem Floß aussieht. Also… wieso hast du es dann getan? Wovor bist du weggelaufen?«
    Rees ließ sich die Frage durch den Kopf gehen. »Ich bin vor gar nichts weggelaufen, Pilot. Das Bergwerk ist die Hölle, aber es war mein Zuhause. Ich bin abgehauen, um die Antwort zu finden.«
    »Die Antwort? – Worauf?«
    »Die Antwort auf die Frage, wieso der Nebel stirbt.«
    Pallis musterte den ernsten jungen Bergmann und fühlte, wie es ihm eiskalt den Rücken hinunterlief.
    Er fragte sich, wie viel Bildung ein durchschnittlicher Bergmann mitbekam. Pallis bezweifelte, dass Rees überhaupt schreiben und lesen konnte. Sobald ein Kind stark genug war, wurde das Mädchen oder der Junge zur Arbeit in der Gießerei oder zum Frondienst auf der Hochgravitations-Oberfläche des Kerns herangezogen…
    Und die Kinder des Gürtels wurden durch die ökonomischen Verhältnisse im Nebel dazu gezwungen, rief er sich in Erinnerung; ein Wirtschaftssystem, zu dessen Fortbestand er – Pallis – beitrug.
    Er schüttelte betrübt den Kopf. Pallis hatte nie die auf dem Floß vorherrschende Meinung geteilt, die Mineure seien eine Art Untermenschen, die allenfalls für die Knochenarbeit taugten, die sie zu ertragen hatten. Wie hoch war eigentlich die Lebenserwartung der Bergleute? Dreißigtausend Schichten? Oder noch weniger, vielleicht die Hälfte des Alters, das Pallis inzwischen erreicht hatte?
    Was für einen tollen Waldläufer Rees abgeben würde… oder, wie er sich mit Bedauern eingestand, vielleicht einen noch besseren Wissenschaftler.
    Ein vager Plan nahm in seinem Kopf Gestalt an.
    Vielleicht würde Pallis es gelingen, Rees auf dem Floß unterzubringen.
    Leicht wäre das nicht. Rees würde sich zeitlebens den Anfeindungen von Gover und Konsorten ausgesetzt sehen. Überhaupt wäre er auf dem Floß nicht auf Rosen gebettet, weil die hiesige Wirtschaft auch in den Sog des kippenden

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