Xeelee 5: Vakuum-Diagramme
die Szene aus der Deckung des Laubs. Er hatte sich dicht an einen über einen halben Meter starken Ast geschmiegt, wobei er darauf achtete, sich nicht die Handflächen am messerscharfen Grat aufzuschneiden. Um die Tarnung perfekt zu machen, hatte er sich noch in eine Blätterschicht eingewickelt. Er vermochte nicht zu sagen, wie spät es war, aber das Be- und Entladen des Baums musste ein paar Schichten in Anspruch genommen haben.
Er hatte die Augen weit geöffnet, und er vermochte nicht einzuschlafen. Er wusste, dass sein Fehlen am Arbeitsplatz mindestens für ein paar Schichten nicht auffallen würde – und es würde noch länger dauern, sagte er sich mit einer leisen Traurigkeit, bis irgendjemand sich die Mühe machen würde, nach ihm zu suchen.
Die Welt des Gürtels lag nun hinter ihm. Welche Gefahren die Zukunft auch immer für ihn bereithalten mochte, es würden auf jeden Fall neue sein.
Er hatte eigentlich nur zwei Probleme: Hunger und Durst…
Gleich nachdem er das Versteck im Laub bezogen hatte, war ein Malheur passiert. Einer der Gürtel-Arbeiter war über seinen kärglichen Proviant gestolpert; im Glauben, dass dieser Vorrat den verhassten Besatzungsmitgliedern des Floßes gehörte, hatte er die Happen mit seinen Kameraden geteilt. Rees konnte von Glück sagen, dass er selbst nicht auch entdeckt worden war… doch nun hatte er keinen Proviant mehr, und das Rumoren im Magen griff bereits auf den Kopf über.
Als auch der letzte Mineur zum Gürtel hinunter gerutscht war, wickelte Pallis das Seil auf und hängte es an einen Haken am Baumstamm. Er hasste diese Besuche auf dem Gürtel und die zähen Verhandlungen mit diesen zerlumpten, halb verhungerten Bergleuten. Er schüttelte den Kopf und wandte die Gedanken mit einiger Erleichterung dem bevorstehenden Flug zu.
»Komm, Gover, setz dich in Bewegung! Die Kessel müssen an der Unterseite des Baums verankert, gefüllt und angezündet sein, bevor ich mit dem Aufwickeln des Seils fertig bin. Oder willst du lieber auf den nächsten Baum warten?«
Gover machte sich an die Arbeit, und bald breitete sich eine Rauchwolke unter dem Baum aus, die den Gürtel und seinen Stern verhüllte.
Pallis stand dicht am Stamm und spürte mit Händen und Füßen das kraftvolle Pulsieren des Safts. Er schien fast imstande zu sein, die Gedanken des Baums zu lesen, der auf die unter ihm sich ausbreitende Dunkelheit reagierte. Der Stamm summte vernehmlich, die Zweige stachen in die Luft, und das Laub wogte und raschelte. Skitters wurden von der abrupten Veränderung der Windgeschwindigkeit aufgescheucht und taumelten umher. Dann hob die große Drehscheibe mit einem kräftigen Ruck vom Stern ab. Der Gürtel und das Elend der Menschen schrumpften auf Spielzeuggröße zusammen und verschwanden allmählich im Nebel – und Pallis, Hände und Füße gegen das fliegende Holz gestemmt, war wieder in seinem Element.
Seine Zufriedenheit hielt ungefähr für anderthalb Schichten an.
Er ging auf der hölzernen Plattform umher und schaute melancholisch zu, wie die Sterne durch die ruhige Luft glitten. Der Flug verlief nicht gerade sanft. Govers ausgedehnte Nickerchen wurden dadurch nicht gestört, doch Pallis mit seinen sensiblen Sinnen hatte das Gefühl, in einem Sturm auf einem Skitter zu reiten. Er presste das Ohr an den drei Meter hohen Baumstamm und spürte förmlich, wie der bole in der Vakuumkammer herumwirbelte, um die Rotation des Baums auszugleichen.
Es kam ihm so vor, als hätte der Baum durch ungleichmäßige Beladung eine Unwucht… Das war ausgeschlossen. Er hatte das Verstauen der Ladung selbst beaufsichtigt, um sich zu vergewissern, dass die Masse gleichmäßig an der Peripherie verteilt wurde. Hätte er eine solche Unregelmäßigkeit übersehen, wäre das damit zu vergleichen gewesen… als ob er vergessen hätte zu atmen.
Was also war die Ursache?
Mit einem ungeduldigen Knurren stieß er sich vom Stamm ab und stapfte zum Rand. Er kontrollierte, ob die Ladung ordentlich verzurrt war, überprüfte nochmals systematisch jede einzelne Platte und jeden Korb und ließ den Vorgang des Beladens vor dem geistigen Auge Revue passieren…
Er hielt inne. Einer der Lebensmittelkörbe war geöffnet worden; die Plastikfolie war an zwei Stellen aufgerissen, und der Korb war halb leer. Er kontrollierte den in der Nähe befestigten Wasserbehälter. Er war ebenfalls aufgebrochen und geleert worden.
Er spürte, wie heißer Atem ihm in die Nase stieg. »Gover! Gover, komm mal
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