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Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Xeelee 5: Vakuum-Diagramme

Titel: Xeelee 5: Vakuum-Diagramme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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das Gewicht ein beträchtliches Stück gefallen sei.
    Sie wartete und hoffte, dass die Stille ihre Geheimnisse preisgab.
    Sie zog wieder am Seil. Nun glitt es leicht. Schließlich kam Teals Körper durch die Tür gerutscht. Er hielt noch immer das Messer seiner Großmutter umklammert.
    Er hatte die Augen geöffnet. Sie starrten durch sie und die Wände hindurch auf… etwas, vor dem sie zurückschauderte.
    Sie spendete ihm die Wärme ihres Unterleibs, leckte ihm das Gesicht mit antiseptischem Speichel und hoffte, dass er aufwachte.
    * * *
    Sie harrte tagelang an diesem fremdartigen Ort aus.
    Teals Atem ging gleichmäßig, doch der Blick blieb starr. Hunger wühlte in ihren Eingeweiden. Bald wäre sie nicht einmal mehr in der Lage, ihn zu füttern…
    Schließlich schlug sie ihm die Kapuze übers Gesicht und lud ihn sich samt seinem Werkzeug auf den breiten Rücken. Mit ihren zarten Fingern stieß sie die Eingangstür auf.
    Draußen tobte ein Schneesturm.
    Mit dem Greifarm sicherte sie die wertvolle Last und kämpfte sich stolpernd durch den Sturm. Die Beinstümpfe versanken immer wieder in Schneeverwehungen und Matsch.
    Der Blizzard wollte kein Ende nehmen. Sie erkannte nicht einmal mehr den Wechsel von Tag und Nacht.
    Schließlich ging sie erschöpft in die Knie und legte Teal im Schnee ab. Seine Lippen waren grau.
    Schneeflocken flogen ihr mit der Wucht von Kieselsteinen in die Augen. Sie nahm keine Notiz davon. Sie hatte versagt, und Teal würde sterben…
    Sie hob den Greifarm und stieß einen trotzigen Schrei aus. Dann durchsuchte sie Teals Habseligkeiten nach dem Steinmesser.
    Sie trat von Teal zurück, packte das Messer mit beiden Händen, holte gegen sich selbst aus und schloss die Finger um den Griff.
    Nun stieß sie sich die Klinge in die Brust und schlitzte sich den Bauch auf.
    Der Schmerz war grausam. Das war nicht gerecht.
    Sie ließ das Messer fallen und schloss die Hände um die Schnittwunde. Dann schleppte sie sich zu Teal, wobei sie eine Spur wie eine blutige Schnecke zog.
    Sie bedeckte ihn mit ihrem Leib, so dass die weiche Substanz des Innern ihn überströmte. Mit letzter Kraft hob sie den Kopf, um sicherzugehen, dass Teal auch ganz von ihr bedeckt war. Dann verließen sie die Kräfte. Der Kopf fiel nach vorn, und der Schnee war nun so beruhigend, wie es der Arm ihrer Mutter einst gewesen war.
    Ihr Körper war von der zellularen Ebene aufwärts dafür ausgelegt, den Menschen zu dienen, und sie wusste, dass er nun ein letztes Wunder bewirken würde. Sauerstoffreiches Blut würde den im Schockzustand befindlichen Menschen wie eine amniotische Flüssigkeit umströmen, während die inneren Organe angesichts dieses äußersten Notfalls sich in autonome, halb empfindungsfähige Wesen verwandelten. Sie bildeten einen Wall, um ihn vor der Kälte zu schützen, solange er dieses Schutzes bedurfte.
    Sie spürte, wie die Gedanken den Zusammenhang verloren und verflogen.
    Ihre Mutter kam durch den Schnee auf sie zu. Sie trug eine Sonne auf dem Rücken, doch war sie nicht orange, alt und trübe wie die richtige Sonne. Sie war gelb, und sie schmolz den Schnee.
    * * *
    Allel saß im dunklen Tipi, als das Geschrei ertönte.
    Niemand schrie dieser Tage. Wo die Sonne nie mehr heller wurde als das Zwielicht ihrer Jugend, gab es keinen Grund zum Jubeln mehr.
    Außer…
    Sie zog die steifen alten Beine an und erhob sich von der Ledermatte. Draußen trieb Heimat wie ein blutrotes Floß über der Landschaft. Die Sonne war immer noch hell genug, um ihr in die wässrigen Augen zu stechen, und der Wind brach sich in der Narbe, die quer über ihr Gesicht verlief.
    Die Quelle des Aufruhrs befand sich nördlich der kleinen Siedlung. Sie sah ihren Enkelsohn Damen dort stehen, ein Bär von einem Mann. Ein paar andere Dörfler näherten sich Damen. Dumpfe Neugier erhellte ihre verhärmten Gesichter.
    Jemand schob sich an Allel vorbei: Erwal, Teals Frau. Als sie erkannte, was vor sich ging, rannte Erwal los.
    Er war es. Er musste es sein. Er hatte überlebt und war zurückgekehrt. Allel humpelte durch den Schneematsch.
    Damen hörte Erwal kommen. Er drehte sich um und breitete die Arme aus, um sie abzufangen. »Nein! Beachte ihn nicht. Quäl dich doch nicht selbst!«
    Hinter ihnen stand eine stumme Gestalt. Allel schielte aufs Gesicht, vermochte es aber nicht mit Bestimmtheit zu identifizieren.
    Erwal schüttelte die Faust. »Komm bloß nicht näher. Hau ab! Ich habe mein Kind verloren, weil du mir solchen Kummer bereitet hast,

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