Xeelee 5: Vakuum-Diagramme
Und…«
Sie hielt inne, was untypisch für sie war.
»Ja?«
»Der Spin dient auch dazu, die logischen Bäume zu reinitialisieren.«
»Diese armen Bäume gleichen Schrödingers Katze«, sagte Hassan. Er schien das lustig zu finden. »Schrödingers Bäume!«
Reinitialisieren?
»Teufel«, sagte Chen. »Die Bäume werden gerodet. Von einem Quantensystem werden sie willkürlich und nach dem Zufallsprinzip eliminiert. Das ist ein Verstoß gegen die Lebensschutz-Gesetze, verdammt.« Voller Abscheu starrte sie auf das faustgroße Quanten-Gerät.
»Wir sind weit von der Erde entfernt«, sagte Hassan scharf. »Hat Marsden seine Quanten-Nonlinearität nun gefunden?«
»Keine Ahnung.« Bayliss schaute auf die Computer-Terminals. Sehnsucht sprach aus ihren künstlichen Augen. »Ich muss die Datensammlung vervollständigen.«
»Was soll das denn bringen?«, fragte Hassan. »Wenn die Nonlinearität nur ein minimaler Effekt ist, und falls sie überhaupt existiert…«
»Es würde uns in die Lage versetzen, chaotische Quanten-Systeme zu konstruieren«, sagte Bayliss trocken. »Und wenn dir das Einstein-Podolsky-Rosen- Paradoxon etwas sagt…«
»Komm zum Punkt«, verlangte Hassan.
»Nonlineare Quantensysteme würden die spezielle Relativitätstheorie außer Kraft setzen. Verzögerungsfreie Kommunikation, Hassan.«
Chen schaute unbehaglich auf den Boden. Die Bäume im Logik-Pool schlugen immer heftiger aus.
* * *
Der Himmel hing dicht über ihm, als wahrnehmbare Präsenz. Er verschlang Aussagen, wobei er den logischen Gehalt kaum zur Kenntnis nahm, und knospte wild. Verdorrte Brüder, misslungene Kopien seiner selbst, fielen von ihm ab und feuerten ihn an.
Er erinnerte sich, wie er – das letzte Mal, vor der Rodung – zu diesem riesigen furchteinflößenden Interface ausgegriffen und es in letzter Sekunde vor dem Rückfall durchstoßen hatte. Wie er in etwas Weiches, Empfängliches, Nachgiebiges gegriffen hatte. Wie gut es sich angefühlt hatte.
Der Himmel kam näher. Er griff nach ihm aus…
* * *
»Ich glaube, die Bäume haben Marsden getötet.«
»Das ist doch absurd«, sagte Hassan und lachte.
Sie überprüfte die Behauptung noch einmal auf ihre Plausibilität. »Nein«, sagte sie bedächtig. »Bedenke, dass sie empfindungsfähig sind. Sie werden von dem motiviert, was sie als ihre Ziele betrachten. Dazu zählen vermutlich Wachstum und Überleben. Die Rodung, falls sie sie bewusst erleben, muss sie in Raserei versetzen…«
»Es ist aber völlig ausgeschlossen, dass sie Marsden wahrgenommen haben, etwa als eine Art Gott über ihrem Logik-Pool.«
»Das mag schon sein. Aber sie erkennen vielleicht etwas jenseits der Grenze ihrer Welt. Etwas, das man bekämpfen kann…«
Bayliss hatte sich klammheimlich abgesetzt.
Chen wandte sich von Hassan ab und ließ den Blick durch die Kuppel schweifen. Die Umrisse des glühenden Logik-Pools wurden immer unregelmäßiger, und er breitete sich unter dem Boden wie eine Flüssigkeit aus. Bayliss arbeitete an den Computer-Terminals, stellte Funkverbindungen her und schob Datenwürfel ein.
Chen war mit zwei Sätzen neben ihr und packte sie am Arm. Zunächst ließ die fieberhaft arbeitende Bayliss sich nicht stören; erst nach einer Weile spürte sie Chens Hand auf dem Arm.
Mit abwesendem Blick schaute sie zu Chen auf. »Was willst du?«
»Ich glaub’s nicht. Du machst mit deiner Datensammlung weiter, stimmt’s?«
Bayliss schaute Chen an, als ob sie Chinesisch geredet hätte. »Natürlich mache ich damit weiter.«
»Aber diese Daten wurden auf illegale Art gewonnen. Ihre Nutzung ist unmoralisch. Begreifst du das denn nicht? Es ist…«
Bayliss wandte sich ihm zu. Die optoelektronischen Augen funkelten. »Unrecht? Willst du mir das sagen? Dass das Blut dieser künstlichen Wesen daran klebt, Chen?«
»Künstlich oder nicht, sie sind empfindungsfähig. Wir müssen die Rechte aller…«
»Daten sind Daten, Susan. Egal, aus welcher Quelle sie stammen. Ich bin Wissenschaftlerin. Ich akzeptiere deine…« – der kleine Mund zuckte – »deine mittelalterliche Moral nicht.«
»Ich werde nicht zulassen, dass du die Daten mitnimmst«, sagte Chen ruhig.
»Susan.« Hassan stand dicht bei ihr. Mit erstaunlicher Kraft riss er ihre Hände von Bayliss’ Arm los.
»Halt dich da raus!«
»Du darfst sie nicht daran hindern, ihre Arbeit zu beenden.«
»Und wieso nicht? Aus wissenschaftlichen Gründen?«
»Nein. Aus wirtschaftlichen Gründen. Und vielleicht«, sagte er
Weitere Kostenlose Bücher