Xeelee 5: Vakuum-Diagramme
beschienen wurde. Die Szenerie wurde trübe beleuchtet. Im taumelnden Gleiter hatte sie das Gefühl, die Landschaft würde schaukeln. Und sie sah, dass zwischen der Welt und dem Mond etwas sich erstreckte…
Nein. Das war unmöglich.
Dann verschwand das Bild in der Dunkelheit.
»Gleich kracht’s«, schrie Cobh.
Schaum stob auf und erfüllte den Gleiter. Der Schaum drang Lvov in Ohren, Mund und Nase; sie sah nichts mehr, bekam aber noch Luft.
Sie hörte einen Aufschlag, und dann knirschte es für ein paar Sekunden. Sie stellte sich vor, wie der Gleiter sich in die Oberfläche des Planeten bohrte. Sie wurde kräftig durchgeschüttelt und in den Sitz gedrückt.
Der Gleiter kam zum Stillstand.
Eine synthetische Stimme nuschelte unverständliche Sicherheitsanweisungen. Dann knisterte es, als die Hülle sich abkühlte.
In der plötzlichen Stille versuchte Lvov, die noch immer von Schaum geblendet wurde, sich an die letzten Eindrücke zu erinnern. Spinnennetz. Ein Netz war zwischen dem Planeten und dem Mond gespannt.
»Willkommen auf Pluto«, sagte Cobh atemlos und ironisch.
* * *
Lvov stand auf der Oberfläche von Pluto.
Der gut isolierte Anzug verlor immer noch so viel Wärme, dass bei jedem Schritt Krater ins Eis geschmolzen wurden und Stickstoffwolken um die Füße wallten. Die Schwerkraft betrug ein paar Hundertstel Ge, und die erdgeborene Lvov hatte das Gefühl, von den nicht vorhandenen Pluto-Winden verweht zu werden.
Über ihr hingen ausgefranste Zirruswolken: Schwebstoff-Zusammenballungen in einer Atmosphäre aus Stickstoff und Methan. Die Wolken verhüllten knochenweiße Sterne. An diesem Standort wurden Sol und der Mond Charon von der Masse des Planeten verdeckt. Es war finster, schwarz in schwarz, und die desolate Landschaft war im Sternenlicht nur in Umrissen zu erkennen.
Der Gleiter hatte einen anderthalb Kilometer langen und fünfzig Meter tiefen Graben in die unberührte Oberfläche dieser uralten Welt gefräst. Deshalb befand Lvov sich nun in einem Tal mit Wänden aus Stickstoffeis. Cobh schleppte Ausrüstung aus dem ziehharmonikaförmig gestauchten Wrack des Gleiters: Scooter, Palmtops, Lebenserhaltungs-Boxen und Lvovs Ausrüstung. Die meisten Ausrüstungsgegenstände waren so robust, dass sie den Absturz überstanden hatten – nur ihre nicht, wie Lvov zu ihrem Leidwesen feststellen musste.
Einem Geologen hätte es vielleicht genügt, mit einem Hammer und ein paar Probenbeuteln die Gegend zu erkunden. Lvov war jedoch Atmosphären-Wissenschaftlerin. Ohne ihre Ausrüstung vermochte sie hier nichts auszurichten.
Die Angst, die sie bisher gefühlt hatte, ließ nun nach und wurde von Gereiztheit und Ungeduld verdrängt. Sie war fünf Lichtstunden von Sol entfernt und vermisste schon das Internet. Sie trat gegen das Eis. Sie saß hier fest, ohne Kontakt zur Außenwelt. Und sie verfügte nicht einmal über die Prozessorleistung, um eine Virtuelle Umgebung zu erzeugen.
Cobh hatte das Wrack inzwischen ausgeräumt. »Komm«, sagte sie schwer atmend. »Wir müssen aus dem Graben raus und eine Positionsbestimmung vornehmen.« Sie wies Lvov in die Bedienung eines Scooters ein. Es handelte sich um eine Plattform mit Edelgas-Triebwerken, die mit Schubhebeln gesteuert wurde.
Nebeneinander stiegen Cobh und Lvov aus der Absturz-Furche auf.
Das mit organischem Purpur angereicherte Pluto-Eis hatte eine kräftige rote Färbung. Lvov erkannte unscharfe Muster in der Oberfläche des Eises. Sie sahen aus wie ein Bas-Relief, hatten die Größe von Esstellern und Filigranmuster wie Schneeflocken.
Lvov landete hart am Rand des Absturz-Grabens, wobei der stumpfe Bug des Scooters sich ins Eis grub. Sie konnte von Glück sagen, dass die Schwerkraft so gering war. Die Masse und die Wärmeentwicklung des Scooters löschten die Eis-Muster in Sekundenschnelle aus.
»Wir sind in der Nähe des Äquators runtergekommen«, sagte Cobh. »Die Albedo ist höher als am Südpol – wegen der Kappe aus Methaneis, habe ich mir sagen lassen.«
»Ja.«
Cobh wies auf einen hellblauen Funken hoch am Himmel. »Das ist das Wurmloch-Interface, aus dem wir ausgetreten sind. Achtzigtausend Kilometer entfernt.«
Lvov schielte auf die Sternbilder, die sich nicht von denen unterschieden, die sie auf der Erde gesehen hatte. »Sind wir gestrandet?«
»Fürs erste«, sagte Cobh mühsam beherrscht. »Der Gleiter ist ein Wrack, und das Wurmloch ist zusammengebrochen. Wir müssen also die lange Route um Jupiter nehmen.«
Fünf Milliarden
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