Xeelee 5: Vakuum-Diagramme
und der höchsten Flockendichte. Es kam ihr fast so vor, als ob die Flocken sich hier versammelt hätten, um den großen unerreichbaren Mond über sich anzuschmachten. Doch was wollten die Flocken von Charon? Welche Bedeutung hatte er für sie?
* * *
Lvov traf Cobh an der Absturzstelle, als sie gerade die Anzugssysteme aus den Lebenserhaltungs-Boxen auflud. Cobh wirkte ruhig und gelassen. Sie wandte das vom Helmvisier bedeckte Gesicht von Lvov ab.
»Du gehst mir aus dem Weg«, sagte Lvov, nachdem sie Cobh für eine Weile beobachtet hatte. »Du bist auf einmal wie ausgewechselt. Möchtest du mir nicht sagen, was los ist?«
Cobh wollte sich von ihr abwenden, doch Lvov packte sie am Arm. »Ich glaube, du hast eine dritte Option gefunden. Nicht wahr? Du hast einen Weg gefunden, wie wir aus dieser Situation rauskommen, ohne dass wir oder die Flocken dabei draufgehen.«
Cobh schüttelte ihre Hand ab. »Ja. Ja, ich glaube, ich habe einen Weg gefunden. Aber…«
»Aber was?«
»Er ist gefährlich, verdammt. Vielleicht undurchführbar. Tödlich.« Cobh knetete die Hände.
Sie hat Angst, erkannte Lvov. Sie trat von Cobh zurück. »Unsre Abmachung gilt nicht mehr«, sagte sie spontan. »Ich werde das innere System über die Flocken informieren. Sofort. Dann müssen wir den dritten Weg gehen, ob er nun gefährlich ist oder nicht.«
Cobh taxierte Lvov. Sie schien ihre Entschlossenheit abzuschätzen, vielleicht sogar ihre körperliche Stärke. Lvov kam sich vor wie ein Computer, aus dem Daten heruntergeladen wurden. Der Moment zog sich in die Länge, und Lvov spürte ein Gefühl der Beklemmung in der Brust. Wäre sie in der Lage, sich in einem Kampf zu behaupten, wenn es dazu kommen sollte? Und – war ihr Wille wirklich so stark?
Ich habe mich verändert, sagte sie sich. Pluto hat mich verändert.
Schließlich wandte Cobh den Blick ab. »Sende deine verdammte Nachricht«, sagte sie.
Bevor Cobh – oder Lvov selbst – es sich noch anders zu überlegen vermochten, schnappte Lvov sich den Computer und schickte eine Botschaft zu den inneren Planeten. Sie lud alle Daten herunter, die sie über die Flocken hatte: Text- und Bilddateien, Analysen sowie ihre eigenen Beobachtungen und Hypothesen.
»Geschafft«, sagte sie schließlich.
»Und das EFT-Schiff?«
»Ich bin sicher, es wird gar nicht erst losfliegen.« Lvov lächelte. »Ich bin mir auch sicher, dass sie uns das gar nicht erst sagen werden.«
»Dann haben wir also keine Wahl«, knurrte Cobh. »Schau: Ich weiß, dass es richtig ist, die Flocken zu bewahren. Ich will nur noch nicht sterben, das ist alles. Ich hoffe, du hast richtig gehandelt, Lvov.«
»Du hast mir noch nicht gesagt, wie wir nach Hause kommen sollen.«
Cobh grinste durchs Helmvisier. »Surfen.«
* * *
»In Ordnung. Das machst du gut. Nun lass den Scooter los.«
Lvov holte tief Luft und stieß sich mit beiden Beinen vom Scooter ab. Das kleine Fluggerät flog taumelnd davon und reflektierte dabei das Licht von Sol. Lvov geriet durch den Rückstoß ins Rollen.
Cobh griff nach ihr und stabilisierte sie. »Du kannst nicht fallen«, sagte Cobh. »Du bist im Orbit. Du weißt, was das heißt, oder?«
»Natürlich weiß ich das«, grummelte Lvov.
Die beiden drifteten im Raum in der Nähe des defekten Poole-Wurmloch-Interfaces. Das Interface selbst dräute als eine mit Dunkelheit erfüllte Pyramide aus xenonblauen Streben vor ihnen. Lvov hatte das Gefühl, neben der Ruine eines riesigen Gebäudes zu treiben.
Pluto und Charon mit den fleckigen komplexen Oberflächen hingen wie Ballons vor ihr. Die Formen der Himmelskörper waren sichtlich verzerrt und glichen eher Kartoffeln als Kugeln. Der Abstand zwischen beiden betrug nur vierzehn Pluto-Durchmesser. Die Welten hatten kontrastierende Farben – der blutrote Pluto und der eisblaue Charon. Das liegt an der unterschiedlichen Oberflächenzusammensetzung, sagte Lvov sich abwesend. Charons Oberfläche besteht aus Wassereis.
Das Panorama war wunderschön. Plötzlich erkannte Lvov intuitiv, sozusagen aus dem Bauch heraus die Richtigkeit der strengen Umweltschutzpolitik, die von den regionalen Behörden des Systems betrieben wurde.
Cobh kontrollierte die Uhrzeit auf dem Computer, den sie sich auf die Brust geschnallt hatte. »Es ist jeden Moment soweit. Lvov, du schaffst das schon. Vergiss nicht, du wirst keine Beschleunigung spüren, egal mit welcher Geschwindigkeit wir fliegen. Im Zentrum einer Alcubierre-Welle ist die Raumzeit schön flach; du wirst dich
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