Xenozid
Gesichter Elanora Ribeira von Hesses und Andrew Wiggins gesehen. Und Janes Gesicht.
Sie erinnerte sich daran, daß Wiggin ihr erklärt hatte, wie Götter in Wirklichkeit waren. Echte Götter würden einen nur lehren wollen, genau wie sie zu sein. Warum hatte er das gesagt? Wie konnte er wissen, wie ein Gott sein würde?
Jemand, der einen alles lehren will, was er weiß, der will, daß man tut, was immer er tut – Wiggin hatte in Wirklichkeit Eltern beschrieben, keine Götter.
Nur, daß es viele Eltern gab, die das nicht taten. Viele Eltern, die versuchten, ihre Kinder unten zu halten, sie zu beherrschen, Sklaven aus ihnen zu machen. Wo Wang-mu aufgewachsen war, hatte sie es oft genug gesehen.
Wiggins hatte ihr also eigentlich auch keine Eltern beschrieben. Er hatte gute Eltern beschrieben. Er hatte ihr nicht gesagt, was Götter waren, sondern was Güte war. Zu wollen, daß andere Menschen all die guten Dinge hatten, die man selbst hat. Und ihnen die schlechten zu ersparen, wenn man kann. Das war Güte.
Was waren dann die Götter? Sie würden wollen, daß alle anderen alle guten Dinge kannten und hatten. Sie würden einen lehren, mit einem teilen und einen ausbilden, aber einen niemals zu etwas zwingen.
Wie meine Eltern, dachte Wang-mu. Manchmal dumm und unbeholfen, wie alle Menschen, aber gut. Sie haben wirklich für mich gesorgt. Sogar als sie mich zwangen, etwas Schweres zu tun, weil sie wußten, daß es gut für mich war. Sogar, wenn sie sich manchmal irrten, waren sie gut. Ich kann sie also doch nach ihren Zielen abschätzen. Alle behaupten, gute Ziele zu haben, doch die meiner Eltern waren wirklich gut, weil alles, was sie taten, mir helfen sollte, klüger und stärker und besser zu werden. Selbst wenn sie mich zwangen, etwas Schweres zu tun, weil sie wußten, daß ich daraus lernte. Selbst wenn sie mir Schmerzen zufügten.
Das war es. So würden die Götter sein, wenn es Götter gäbe. Sie würden wollen, daß alle anderen alle guten Dinge im Leben hatten, zum Beispiel gute Eltern. Doch im Gegensatz zu Eltern und allen anderen Menschen würden die Götter wirklich wissen, was gut war, und die Macht haben, Gutes zu veranlassen, selbst wenn kein anderer wußte, daß es gut war. Wie Wiggin gesagt hat… echte Götter würden klüger und stärker als alle anderen sein. Sie würden alle Intelligenz und Macht haben, die man nur haben konnte.
Doch solch ein Wesen zu sein – wie konnte jemand wie Wang-mu über einen Gott urteilen? Sie konnte ihre Ziele nicht begreifen, auch wenn sie sie ihr verrieten. Wie konnte sie also jemals wissen, daß es gute Ziele waren? Doch alle anderen Möglichkeiten – ihnen zu vertrauen und absolut an sie zu glauben – war das nicht genau das, was Qing-jao tat?
Nein. Wenn sie wirklich Götter waren, würden sie niemals handeln, wie Qing-jao es annahm – andere Menschen versklaven, quälen und erniedrigen.
Außer, wenn Qualen und Erniedrigungen gut für sie waren…
Nein! Sie hätte fast laut aufgeschrien und drückte erneut die Hände vors Gesicht.
Ich kann nur nach dem, was ich verstehe, ein Urteil fällen. Wenn die Götter, an die Qing-jao glaubt, nach dem, was ich verstehen kann, nur böse sind, dann irre ich mich vielleicht, ja, dann verstehe ich vielleicht das große Ziel nicht, das sie erreichen wollen, indem sie die Gottberührten zu hilflosen Sklaven degradierten oder eine ganze Spezies vernichteten. Aber in meinem Herzen habe ich keine andere Wahl, als solche Götter abzulehnen, weil ich nichts Gutes in dem sehen kann, was sie tun. Vielleicht bin ich so dumm und töricht, daß ich immer der Feind der Götter sein und gegen ihre hohen und unverständlichen Ziele arbeiten werde. Aber ich muß mein Leben nach dem leben, was ich verstehe, und ich verstehe, daß es keine solchen Götter gibt, wie die Gottberührten uns weismachen wollen. Wenn sie doch existieren, finden sie Vergnügen an Unterdrückung und Täuschung, Erniedrigung und Unwissenheit. Sie wollen andere Menschen kleiner und sich selbst größer machen. Das wären dann keine Götter, selbst wenn es sie gäbe. Es wären Feinde. Teufel.
Dasselbe gilt für die Wesen, die den Descolada-Virus geschaffen haben. Ja, sie müssen schon sehr mächtig sein, um so ein Werkzeug schaffen zu können. Doch sie müssen auch herzlos, selbstsüchtig und arrogant sein, um zu glauben, sie könnten alles Leben im Universum manipulieren, wie sie es für richtig halten. Auch das können keine Götter sein.
Jane – nun, Jane
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