Xenozid
am nächsten lag, zog er sich aus, steckte seine Kleidung in den Reinigungskasten und vollführte dann den Reinigungstanz – er streckte die Hände nach oben aus, ließ die Arme an den Schultern rotieren, drehte sich im Kreis, bückte sich und richtete sich wieder auf, damit kein Teil seines Körpers von der Kombination aus Strahlung und Gasen, die den Schuppen ausfüllte, verfehlt wurde. Er atmete tief durch Mund und Nase ein und hustete dann wie gewöhnlich, weil die Gase kaum in der menschlichen Toleranzschwelle lagen. Drei volle Minuten mit tränenden Augen und brennenden Lungen, während er mit den Armen winkte und sich hinhockte und wieder aufstand: ein Ritual des Gehorsams für die allmächtige Descolada. So erniedrigen wir uns vor dem unbestrittenen Herren des Lebens auf diesem Planeten.
Schließlich war er fertig. Als endlich frische Luft in den Schuppen strömte, nahm er seine noch warme Kleidung aus dem Kasten und zog sie an. Sobald er den Schuppen verlassen hatte, würde er sich aufheizen, bis die Temperatur weit über der erwiesenen Wärmetoleranzgrenze des Descolada-Virus lag. Diese letzte Stufe der Reinigung konnte nichts in dem Schuppen überstehen. Wenn beim nächsten Mal jemand den Schuppen betrat, würde er absolut steril sein.
Doch Ender konnte den Gedanken nicht verdrängen, daß der Descolada-Virus irgendwie einen Weg finden würde, durch den er schlüpfen konnte – wenn nicht durch den Schuppen, dann durch die leichte Disruptorbarriere, die die Felder mit den Experimentalpflanzen umgab wie eine unsichtbare Festungsmauer. Offiziell kam kein Molekül, das aus über einhundert Atomen bestand, durch diese Barriere, ohne aufgebrochen zu werden. Zäune auf beiden Seiten der Barriere verhinderten, daß sich sowohl Menschen als auch Schweinchen in die Todeszone verirrten – doch Ender hatte sich oft vorgestellt, wie es wäre, wenn doch jemand durch das Auflösungsfeld ginge. Wenn die Zellkernsäuren aufbrachen, würde jede einzelne Körperzelle augenblicklich absterben. Vielleicht würde der Körper seine Form behalten. Doch in Enders Vorstellung zerfiel er auf der anderen Seite der Barriere immer zu Staub, den der Wind wie Rauch davontrug, bevor er den Boden berührte.
Kopfzerbrechen bereitete Ender, daß das Auflösungsfeld auf demselben Prinzip beruhte wie das Molekular-Detachier-Gerät. Ursprünglich dazu konstruiert, gegen Sternenschiffe und Raketen eingesetzt zu werden, hatte Ender es vor dreitausend Jahren, als er die menschliche Kriegsflotte kommandierte, gegen den Heimatplaneten der Krabbler eingesetzt. Und dieselbe Waffe hatte der Sternenwege-Kongreß nun nach Lusitania geschickt. Jane zufolge hatte der Sternenwege-Kongreß bereits versucht, den Einsatzbefehl zu schicken. Sie hatte ihn abgeblockt, indem sie die Verkürzerkommunikation zwischen der Flotte und dem Rest der Menschheit unterbrochen hatte, doch man konnte nicht sagen, ob irgendein übereifriger Schiffskapitän, der in Panik geraten war, weil sein Verkürzer nicht mehr funktionierte, die Waffe nicht doch einsetzen würde, wenn er Lusitania erreicht hatte.
Es war undenkbar, doch sie hatten es getan – der Kongreß hatte den Befehl gegeben, eine Welt zu vernichten. Xenozid zu begehen. Hatte Ender die Schwarmkönigin vergeblich geschrieben? Hatten sie bereits vergessen, was geschehen war?
Doch für sie war ›bereits‹ der falsche Ausdruck. Für die meisten Menschen lag das Geschehen dreitausend Jahre zurück. Und obwohl Ender Menschs Leben geschrieben hatte, wurde dem Buch noch nicht genug Glauben geschenkt. Die Menschen hatten das Buch noch nicht so weit akzeptiert, daß der Kongreß es nicht wagen würde, gegen die Pequeninos vorzugehen.
Warum hatte der Kongreß den Befehl gegeben? Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, aus dem die Xenobiologen die Disruptorbarriere errichtet hatten: um einen gefährlichen Virus zu isolieren, damit er sich nicht weiter ausbreiten konnte. Der Kongreß versuchte wahrscheinlich besorgt, die Infektion einer planetaren Revolte einzudämmen. Doch wenn die Flotte hier eintraf, würde sie den Chirurgen, ob nun mit oder ohne Befehl, wahrscheinlich als Endlösung für das Descolada-Problem einsetzen. Wenn es keinen Planeten Lusitania mehr gab, würde es auch keinen selbstmutierenden, halbintelligenten Virus geben, der auf die Gelegenheit hoffte, die Menschheit und all ihre Arbeit auf Lusitania auszulöschen.
Die Strecke von den Experimentalfeldern zu der neuen xenobiologischen Station war nicht
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