Xperten - Der Anfang: Kurzgeschichten
als gültig angesehen (zu viel Salz ist eher ungesund, rote Wangen mögen durchaus Zeichen von Bluthochdruck sein); oder »Butter und Schmalz – Gott erhalt’s« erscheint heute – in Abwesenheit harter körperlicher Arbeit – als eine Empfehlung, zu viele gesundheitsschädliche tierische Fette zu essen.
Zweitens, auch wenn ein pflanzliches Produkt von der Menschheit jahrhundertelang verwendet wurde, schließt das tödliche Nebenwirkungen nicht aus. Ein klassisches Beispiel ist der Pilz Hallimasch, der bis in die siebziger Jahre als delikater Speisepilz galt und auf Märkten angeboten wurde. Dann verschwand er plötzlich und klammheimlich von den Märkten und aus der Liste der Speisepilze. Man hatte festgestellt, dass der Hallimasch ein Gift enthält, das nur sehr langsam von der Leber abgebaut wird und das in größeren Mengen tödlich ist. Mit anderen Worten, man kann ohne jeden Schaden zu erleiden ab und zu Hallimasch essen (in den Pausen dazwischen wird das Gift wieder abgebaut); isst man aber oft knapp hintereinander Gerichte mit Hallimasch, kann dies tödlich sein! (Dieser Effekt wurde aus offensichtlichen Gründen sehr spät entdeckt: Wenn zum Beispiel sechs Leute an einem Tag Hallimasch essen und am nächsten Tag geht es fünf blendend, aber eine Person ist tot … Wer würde das dem Genuss des Hallimasch zuschreiben?)
Drittens, dort, wo man den Wirkstoff einer Pflanze genau identifiziert hat, ist die künstlich gewonnene Version genauso gut und besser dosierbar. »Künstliches« Vitamin C erfüllt durchaus dieselbe Funktion wie jenes im Zitronensaft (ohne durch die Zitronensäure die Magenschleimhäute zu belasten), künstliches Vitamin D ersetzt die hohe Vitamin-D-Konzentration in Lebertran vollwertigst usw.
Viertens und vielleicht am entscheidendsten: Es gibt viele Probleme, denen man durch Heilpflanzen nicht oder nicht gut beikommt, die aber durch künstlich hergestellte Medikamente vollkommen gelöst werden können. Paradebeispiel dafür sind natürlich die Antibiotika, die gefährliche Krankheiten wie Pest und schwerste Entzündungen besiegen; oder Impfungen, die uns heute vor unzähligen Infektionskrankheiten schützen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Ohne moderne Medikamente wäre unsere Lebenserwartung entscheidend geringer!
Auch die Behauptung, dass man »beim Anbau von Gemüse, Getreide und Bäumen ohne Kunstdünger und unnatürliche Eingriffe« auskommen sollte, ist unhaltbar: Sie klingt nur so gut in den Ohren von vielen Menschen, weil man in der Vergangenheit oft tatsächlich überdüngt hat, Pestizide, die sich kaum mehr abbauen (DDT), in riesigen Mengen eingesetzt hat u. v. m. Der maßvolle Eingriff in die Natur, nicht der Rückschritt in die Steinzeit des Gemüse-, Getreide- oder Obstbaus ist die Antwort. Wer würde nicht Obstbäume entsprechend veredeln und trimmen oder Gemüsepflänzchen aus dem Saatbeet aussetzen (was für unnatürliche Vorgänge!). Und wenn eine Bodenfläche besonders sauer, lehmig, salzhaltig oder was auch immer ist, ist der maßvolle Einsatz entsprechender Chemikalien durchaus gerechtfertigt. Am deutlichsten wird das anhand eines konstruierten Beispiels klar. Betrachten wir doch ein saures Grundstück, das an einer Seite an Kalkfelsen angrenzt. Durch einfaches Zermahlen von etwas Kalkgestein und Aufstreuen dieses Kalkmehls wird das zuvor saure Grundstück PH-neutral und fruchtbar. Der Eingriff hat nur einen sonst lang dauernden Verwitterungsprozess des Kalkfelsens vorweggenommen. Er stellt gleichzeitig nichts anderes als eine Kunstdüngung dar …
Auch die allererste Behauptung in diesem Beitrag, dass »Tiere in ihrer natürlichen Umgebung, in der Natur und ohne künstliches Futter leben sollten«, ist nicht mehr als eine Floskel. Eine natürliche Umgebung für ein Haustier gibt es ja erstens gar nicht. Ein Rind würde sich ferner ziemlich bedanken, wenn man es im Winter nicht mit Heu versorgen würde (ein sehr künstlicher Vorgang!) oder wenn es im Freien stehen müsste. Wenn das Trockenfutter über längere Zeiten Vitaminmangel bei Tieren auslöst, ist ein Vitaminzusatz im Interesse der Tiere. Dass man gewisse Grenzen bei Tieren nicht überschreiten sollte (etwa Hormonbehandlung bei Tieren genauso wenig wie Doping bei Sportlern), ist selbstverständlich.
Zusammenfassend sind Aussagen über die Bedeutung des »natürlichen Essens« mit größter Vorsicht zu genießen. Erstens gibt es vieles in der Natur, was sicher ungesund bzw. nicht essbar ist;
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