Xperten - Der Anfang: Kurzgeschichten
zweitens ist die Definition von »natürlich« vollständig unklar. Ist ein geschälter Apfel natürlich und sollte er daher ungeschält gegessen werden? Wenn nein, sollen wir auch die Orangen mit Schalen essen? Ist Schmelzkäse natürlicher als Löskaffee? Wenn ja, warum? Usw.
Insgesamt sehen Natur- und Biofreaks die Welt enorm schwarz-weiß: Natur (was immer das ist) ist gut, künstliche Erzeugnisse (was immer man darunter versteht) sind schlecht. Diese Haltung erinnert mich sehr an den Ehrenkodex in Rittersagen, an die moralische Welt der Westernhelden und an all die vielen anderen Situationen, wo extreme Standpunkte ohne maßvolle Zwischenlösung eingenommen werden.
So langweilig die Aussage ist, sie gilt auch hier, also beim Essen, bei der Herstellung von Nahrungsmitteln und bei der Aufzucht von Tieren und Pflanzen: Der richtige Weg liegt irgendwo zwischen den Extremen.
6.3 Obst in die Parks!
Öffentliche Parks haben sich historisch entwickelt als ein Versuch, Gartenanlagen (wie sie sonst nur einige wenige bei ihren Schlössern und Palästen zur Verfügung hatten) auch dem »Volk« zugänglich zu machen. Der Durchschnittsmensch durfte so – zwar bis in die sechziger Jahre noch mit vielen »Das Betreten des Rasens ist verboten«-Tafeln eingeengt – von einem ausgeklügelten Wegesystem aus wohlgepflegte Blumenbeete, Ziersträucher oder Parkbäume bestaunen.
Viel hat sich daran noch immer nicht geändert. Zwar darf man inzwischen die Rasenflächen benutzen, aber die Grundeinstellung, dass ein Park eine Mischung zwischen Schlosspark, botanischem Garten und Blumenausstellung sein muss, ist geblieben. Jede Pflanze, jeder Strauch, jeder Baum, der etwas Genießbares zu bieten hat, ist noch immer so verpönt wie seinerzeit, als irgendwelche Aristokraten durch die Abwesenheit jeder nützlichen Pflanze beweisen »mussten«, dass sie so etwas wie Fruchtbäume nun wirklich nicht nötig hatten.
Ich fordere: Schluss mit diesem historischen Relikt! Ich schlage vor: Pflanzen wir doch auch Beeren und Fruchtbäume in den Parks. Ich stelle als neuen Slogan vor: »Obst in die Parks!«
Warum sollen wir nicht neben den Rosskastanien auch Edelkastanien oder Walnussbäume in den öffentlichen Parks haben? Wer behauptet, ein blühender Kirsch- oder Apfelbaum sei weniger schön als eine blühende Zierkirsche? Und wer wagt zu widersprechen, dass ein Kirschbaum mit reifen roten Kirschen (die jeder gerne pflücken kann) doch sicher genauso attraktiv ist wie eine Trauerweide!
Wenn Rosenbeete mit endloser Hingabe gepflegt werden und Efeu kunstvoll auf Pergolas hochgezogen wird, warum sollen dann nicht auch Ribiselsträucher oder Steinbirnen gesetzt und Wein mit grünen und blauen Trauben oder Klettererdbeeren mit malerisch roten Beeren auf entsprechenden Lattenrosten hochgezogen werden?
Dort, wo heute Gärtner ihre Kunst durch das Aufziehen frostanfälliger Trompetenbäume, Magnolien oder noch exotischerer Gewächse unter Beweis stellen, könnten sie in Zukunft doch bitte auch ein bisschen ihrer Künste auf Marillen- oder Pfirsichbäume oder auf zum Beispiel überaus rasch wachsende Büsche wie Kiwis konzentrieren.
Selbst Beete mit Stiefmütterchen oder Astern im Herbst könnte man meiner Ansicht nach ohne großen Verlust teilweise durch zum Beispiel einladende Zucker- oder Wassermelonen ersetzen. Und selbst wenn Haselnussstauden eher dazu beitragen, dass sich mehr Eichkätzchen im Park ansiedeln, als dass Kinder viele Haselnüsse pflücken werden, ich bin noch immer für die Haselnusssträucher.
Kurzum: Brechen wir endlich das eigentümliche »Keine Frucht in einem öffentlichen Park«-Tabu, zumindest in einigen Parks, an einigen Stellen. Der Erfolg wird für sich selbst sprechen! Die erste Stadt, die in ihrem Prospekt erklärt, »in unseren Parks finden Sie zwischen Mai und September immer eine kleine essbare Überraschung«, wird damit mehr Leute als nur mich neugierig machen. Und da es uns heute gelingt, einigermaßen erfolgreich zu verhindern, dass die Rosen im Park dauernd gepflückt werden, wird es uns auch gelingen zu erreichen, dass Schilder mit zum Beispiel »Essen an Ort und Stelle: ja – mitnehmen: nein« oder »Diese Kirschen erst ab 20. 6. pflücken« (weil sie erst dann reif sind) beachtet werden. Den Schlossherren von Versailles oder Schönbrunn brachten Diener auf Wunsch jederzeit die schönsten Früchte essgerecht auf einem Silberteller. So gut geht es mir nicht: Ich hätte aber nichts dagegen, im Stadtpark
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