Xperten - Der Anfang: Kurzgeschichten
oder Opium doch auch nicht im Übermaß zu empfehlen. Die Feststellung »Eingriffe in naturgegebene Zustände sind tunlichst zu vermeiden« ist auf Grund des Wortes »tunlichst« so vage, dass man sie vielleicht noch halb akzeptieren kann. Dennoch, wenn ich als Imker meine Bienenstöcke in die Nähe blühender Bäume führe, dann ist dies ein sinnvoller Eingriff; wenn bei langer Trockenheit die Kühe auf der Weide kein Frischgras mehr finden, wird eine Zufütterung notwendig … und wenn das Wasser auf der Weide ausgeht, dann eine »künstliche« Wasserversorgung erst recht. Auch der Unterstand für Tiere bei Schlechtwetter, der Salzleckstein für Almvieh oder das Kalken eines Pfirsichbaumes, um zu frühes Austreiben zu verhindern, … All das sind Eingriffe in den natürlichen Zustand, die vernünftig sind. Die Natur ist weder gut noch böse; sie verhält sich vielmehr so, dass wir immer wieder korrigierend eingreifen müssen. Wozu hätten wir auch sonst ein Gehirn im Kopf? Wer die Natur an sich für gut hält, der scheint zu übersehen, dass es Kälte, Blitz, Hagel, Stürme, Trockenheit, Erdbeben, Vulkane usw. gibt, gegen die wir uns und unsere Nahrungsquellen natürlich schützen müssen.
Dass wir »Nahrung weitgehend naturbelassen und unverfälscht essen sollten«, ist eine Meinung, die einfach lächerlich ist. Selbstverständlich sollen wir Nährstoffe in der Nahrung nicht zerstören, indem wir zum Beispiel beim Gemüsekochen alle Vitamine vernichten, beim Getreidemahlen wichtige Teile des Getreidekorns wegwerfen, um Weißmehl zu erhalten, beim Raffinieren von Zucker wichtige Spurenstoffe entfernen, um nur einige Beispiele zu erwähnen. All das heißt aber noch lange nicht, dass wir Nahrungsmittel »naturbelassen« essen sollten. Jeder, der dies sagt, scheint zu vergessen, dass die wenigsten Menschen ihr Schnitzel roh essen, obwohl das »Verkohlen« von Fleisch (ich zitiere Tarzan aus dem ersten – sehr guten – Band der Tarzan-Reihe von Edgar Rice Burroughs) zu den sicherlich unnatürlichsten Dingen gehört, die man einem Nahrungsmittel antun kann! Ich halte auch rohen Hering in Sushi-Form für weniger schmackhaft und weniger bekömmlich als marinierten Fisch, nicht zuletzt, weil durch Kochen, Räuchern und Marinieren diverse Krankheitserreger (Salmonellen in Hühnern, Trichinen in Schweinen, Würmer in Fischen …) abgetötet werden. Die »unnatürliche« Zubereitung von Fleisch ist also nicht nur eine Frage des Geschmacks oder der Gewöhnung, sondern macht dieses auch gesünder.
Die Aufbereitung von Lebensmitteln für den menschlichen Genuss wird häufig dort als natürlich empfunden, wo sie schon lange so gemacht wird, und unnatürlich sonst. So betrachten Österreicher häufig zum Beispiel Erdnussbutter als »unnatürlichen Quatsch aus Nordamerika« – obwohl der Herstellungsprozess ähnlich wie bei Margarine verläuft, während im Grunde schon recht komplexe (und das heißt doch wohl künstliche?) Methoden, um Käse durch Fermentierung zu gewinnen, um Weintrauben über die Zwischenstufen Traubensaft und Wein in Essig zu vergären usw., als natürlich angesehen werden.
Warum eine Leberpastete in Dosen manchen Menschen natürlicher vorkommt als tief gefrorenes Gemüse, habe ich nie verstanden, genauso wenig wie die Auffassung, dass Frankfurter Würstchen (wenig Fleisch mit viel Fett und Weißmehl vollständig homogenisiert) »natürlicher« und »gesünder« seien als Hamburger von McDonald’s (mit weniger Fett und in denen die Struktur des faschierten Fleisches wenigstens noch ansatzmäßig zu erkennen ist).
Die Liste von Beispielen, dass wir Nahrung in den seltensten Fällen naturbelassen essen, lässt sich natürlich beliebig fortsetzen: Schließlich werden ja selbst Weizenkörner oder grüne Kaffeebohnen selten ohne entsprechende Verarbeitung konsumiert!
Die Bevorzugung von Kräutern und Naturheilmitteln gegenüber »künstlichen« Medikamenten mag in Einzelfällen insofern gerechtfertigt sein, als Heilkräuter seit vielleicht Tausenden von Jahren »getestet« worden sind, modernere Medikamente hingegen nicht (allerdings dafür sehr gründlich und in hohen Dosierungen). Man muss sich aber über vier Punkte vollständig klar sein:
Erstens können Dinge, die früher einmal gesund gewesen sind, dies auf Grund inzwischen geänderter Lebensbedingungen heute nicht mehr sein. Eine Regel wie »Salz und Brot macht Wangen rot« ist nicht nur grammatikalisch falsch, sondern wird heute sicher nicht mehr
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