Xperten - Der Paradoppelgänger
Favela ein bisschen zu helfen und Verletzte zu den Rettungsfahrzeugen zu bringen.«
»Barry, du begibst dich selbst in Lebensgefahr, wenn du das machst.«
»Ich versichere dir, mein Freund, mir kann nichts passieren.« Das ‚kann‘ berührt João eigentümlich und er schaut Barry sehr nachdenklich an. Dieser aber geht schon zur Tür:
»Fangen wir an.«
Barry fährt, so schnell er kann, in sein Hotel, das Para-Barry Minuten später verlässt. Durch wachsende Sturmböen rast er zu der besprochenen Favela. Als er dort ankommt, hat der Sturm Orkanstärke angenommen und es schüttet in Strömen. Para-Barry läuft geduckt durch das aus Kistenbrettern, Blechkanistern, Wellblech, Palmwedeln und anderen Baumaterialien errichtete Elendsquartier bergauf zu den allerärmsten Teilen. Eine erste Hütte, die kaum diesen Namen verdient, schräg unter ihm, beginnt sich aufzulösen. Para-Barry materialisiert direkt vor ihr, blickt hinein: Ein paar Erwachsene sitzen am hinteren Ende, wo die Hütte in die Erde reicht, halten kleine Kinder beschützend in den Armen. Sie scheinen relativ sicher zu sein. Aber weiter vorne, wo das Dach schon eingebrochen ist, sitzen zwei Kinder, vielleicht vier und sechs Jahre alt, halten ihre Hände schützend über sich, während Holz- und Metallstücke durch die Luft sausen. Alle starren Para-Barry verblüfft an. Er ergreift ohne Zögern die beiden Kinder an den Händen, legt eine schäbige Deck zum Schutz über ihre Rücken, ruft den anderen noch beruhigend einige der wenigen Brocken Portugiesisch, die er kann, zu, dann läuft er mit den Kindern, er selber als Windschutz, hinunter, wo die Lichter der Rettungsauto schon zu sehen sind. Ein Blechteil trifft Para-Barry zwischen den Schultern, Blut sickert durch sein Hemd. Weiter! Dann ist er bei dem ersten Rettungswagen und übergibt die Kinder den Sanitätern. João hat ganze Arbeit geleistet: Hier sind Ärzte, Decken, heiße Getränke und Essen, mehrere schwere Lastautos, die als Notunterstand dienen. Para-Barry dreht sich um und, kaum aus der Sichtweite der Sanitäter, materialisiert er an einer Stelle, wo es auch besonders übel aussieht.
Ein einzelner Mann gegen das Unwetter! Para-Barry leistet Unglaubliches, bringt Menschen in etwas bessere Unterkünfte, viele zu den Rettungsteams. Und dort löst sich die Steifheit in einer Welle von Hilfsbereitschaft: Andere Männer folgen Para-Barry, schleppen Decken, Medikamente, Zeltplanen und Seile zum Festzurren, Werkzeug und Heringe zum Verankern von Seilen und vieles mehr in die Favela und verletzte oder gefährdete Menschen hinunter zu den Rettungsautos. João ruft per Handy nach weiterer Unterstützung.
Es wird die größte spontane Initiative, die Rio je gesehen hat. Als das Gewitter so plötzlich vorüber ist, wie es kam, ist die Bilanz eine schreckliche: Viele Behausungen sind zerstört, hunderte Menschen, auch Helfer, sind verletzt und doch: Viele wurden gerettet, tausenden wurde geholfen, nur einige wenige mussten in das nächste Spital gebracht werden. Die noch immer anrollenden Hilfsmittel werden an die staunenden Bewohner der Favela verteilt, Para-Barry, der wie durch ein Wunder an hunderten Stellen während des Sturmes auftauchte und half, wird bestaunt (es waren Drillinge, geht bald das Gerücht), da und dort umarmen sich Helfer und Bewohner der Favela, es gibt feuchte Augen auf beiden Seiten. Niemand versteht so recht, was hier eigentlich geschah. Wohlhabende Bürger Rios haben persönlich in Favelas geholfen, in die sie sich sonst überhaupt nicht hineinwagen würden? Der völlig verschmutzte Para-Barry und João schütteln sich die Hand. Sie sind glücklich. João hat vorher einen an mehreren Stellen blutenden und verletzten Barry gesehen. Der Barry, der jetzt vor ihm steht, ist schmutzig und erschöpft, aber unverletzt.
João schaut Para-Barry fragend an: »Du bist nicht verletzt, wie ist das möglich?«
Para-Barry schüttelt den Kopf: »Frag nicht, João, lass es sein.« Barry ist über sich selbst verwundert: Was hat ihn dazu bewogen, sich für andere Menschen so stark zu engagieren? War es João, der ihn dazu bewegt hatte? Oder war es jene Nuance schlechten Gewissens, die er seit Jahren mit sich herumträgt, weil er immer nur für sich lebt? Und dann ist da noch etwas, was Barry besonders verblüfft: Das Helfen hat ihm echte Freude und Befriedigung gegeben ... Ist es wirklich so, dass Helfen schöner ist als Hilfe anzunehmen?
Para-Barry fährt in das Hotel zurück. Barry beendet
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