Yelena und der Mörder von Sitia - Snyder, M: Yelena und der Mörder von Sitia
hängen.
„Du brauchst dich deiner Gefühle und Erinnerungen nicht zu schämen. Was in der Vergangenheit geschehen ist, lässt sich nicht mehr ändern, aber es kann dir eine Richtung für deine Zukunft zeigen.“
Mondmann nickte wohlwollend. „Wir könnten eine Geschichtenweberin aus dir machen, wenn du nicht schon eine Seelenfinderin wärst.“ Er warf mir ein Lächeln zu.
„Wirklich?“ Wie viele Leute mussten es mir noch sagen, ehe ich es glaubte oder spürte? Vielleicht wäre es am besten, mich nicht als Seelenfinderin zu sehen, sondern einfach nur als die Yelena, die mir seit Jahren vertraut war.
Mondmann hob die Augenbrauen. „Komm und besuch mich, wenn du bereit bist.“
Und dann begann sich die Welt um mich zu drehen. Mir wurde schwindlig, und ich schloss die Augen. Als das Schwindelgefühl nachließ, schaute ich mich um. Leif und ich waren wieder in der Ebene. Mondmann unterhielt sich mit Valek.
Ich dachte über das nach, was mir soeben auf dem steinigen Flachland widerfahren war. Leif hatte begonnen, das Dickicht seiner schwarzen Gedanken zu durchdringen. Sein Weg lag gerade vor ihm, nachdem er sich dazu durchgerungen hatte, mich bei Tulas Rettung zu unterstützen. Warum also hatte Mondmann mich gebeten, ihm zu helfen? Suchend schaute ich mich nach dem Geschichtenweber um, aber er war verschwunden.
Plötzlich kam mir die Antwort in den Sinn, und mit ihr meine eigene Schuld. Ohne Leif wirklich zu verstehen, hatte ich ihn schlecht behandelt, weil ich das Verhalten eines Achtjährigen gegen das eines erwachsenen Mannes aufrechnete und nicht sehen wollte, wie sehr er sich darum bemühte, seinen Fehler wiedergutzumachen.
Leif betrachtete mich aufmerksam.
„Warum gibt es nie ein Fest des Neubeginns, wenn man wirklich eines braucht?“, fragte ich.
Leif lächelte mich an. Sein erstes aufrichtiges Lächeln, seitdem ich aus Ixia zurückgekehrt war. Es wärmte mich bis ins Innerste meiner Seele.
„Das ist schon in Ordnung. Ich tanze eh nicht“, sagte er.
„Wart’s nur ab“, erwiderte ich.
Valek räusperte sich. „Das ist zwar sehr rührend, aber wir müssen weiter. Dein Geschichtenweber besorgt uns einige Soldaten zur Verstärkung gegen Aleas Leute. Wir treffen sie im Morgengrauen. Ich nehme an, dass dein Bruder …“
„Leif …“, half ich seiner Erinnerung auf die Sprünge.
„… mit uns kommt?“
„Selbstverständlich“, sagte Leif.
„Nein“, sagte ich gleichzeitig. „Ich möchte nicht, dass dir etwas geschieht. Mutter würde das gar nicht gefallen.“
„Und ich würde ihr nicht mehr gegenübertreten können, wenn ich nicht bliebe und helfen würde.“ Entschlossen verschränkte Leif die Arme vor der Brust, das eckige Kinn trotzig vorwärts gestreckt.
„Deine Mutter scheint eine tolle Frau zu sein“, unterbrach Valek das Schweigen.
„Wenn du wüsstest“, erwiderte Leif seufzend.
„Nun, wenn sie auch nur im Entferntesten wie Yelena ist, hast du mein tiefes Mitgefühl“, witzelte Valek.
„He!“
Leif lachte, und die Anspannung ließ nach.
Valek gab Leif seine Machete zurück. „Weißt du überhaupt, wie man so etwas benutzt?“
„Klar. Damit habe ich Kleinholz aus Yelenas Streitkolben gemacht“, antwortete Leif grinsend.
„Du hast mich überrumpelt“, protestierte ich. „Ich wollte dich nicht verletzen.“
Leif sah mich zweideutig an.
„Wie wär’s mit einer Revanche?“
„Jederzeit.“
Valek trat zwischen uns. „Allmählich wünschte ich mir, dass du eine Waise wärst, Liebes. Könnt ihr zwei euch wirklich auf eure Aufgabe konzentrieren, ohne die geschwisterlichen Streitereien, auf die ihr vierzehn Jahre lang verzichten musstet, im Schnelldurchgang nachzuholen?“
„Ja“, antworteten wir beide wie aus einem Mund und bemühten uns, angemessen betreten zu wirken.
„Gut. Dann lasst uns gehen.“
„Wohin?“, fragte ich.
„Da dein Geschichtenweber dauernd in Rätseln spricht, hat er nur gesagt: ‘Die Pferde kennen den Weg’.“ Valek zuckte mit den Schultern. „Ich selbst würde mich zwar nicht an einen solchen Schlachtplan halten, aber ich habe inzwischen gemerkt, dass man im Süden ganz eigene Strategien bevorzugt. Und das Seltsamste ist – sie funktionieren sogar.“
Die Pferde kannten tatsächlich den Weg, und als die Sonne über der Ebene aufging, stießen wir auf eine Gruppe von Sandseed-Soldaten – ein Dutzend Männer und sechs Frauen in Lederrüstung, mit Krummsäbeln und Speeren bewaffnet –, die an einer von hohem Gras
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