Yelena und die verlorenen Seelen - Snyder, M: Yelena und die verlorenen Seelen
sollen sie dabei sein, einen Krieg vorzubereiten.“
Verständnislos schüttelte Fisk den Kopf. Für sein Alter war er sehr klug. Schade, dass er keine richtige Kindheit erleben durfte. Als Sohn von Bettlern war er niemals richtig glücklich und froh gewesen. Schon früh hatte er die Fähigkeit zum Staunen verloren und gelernt, dass jeder Fehler ihm zum Verhängnis werden konnte.
„Was ist mit dem Bergfried?“, erkundigte ich mich.
„Verschlossen. Niemand darf ohne Begleitung von bewaffneten Daviianern hinein oder hinaus.“
Die Situation war also noch schlimmer, als ich befürchtet hatte. „Ich muss einem der Berater eine Nachricht zukommen lassen.“
„Welchem?“
„Meinem Verwandten, Bavol Zaltana. Aber du darfst die Botschaft nicht aufschreiben. Du musst es ihm erzählen. Meinst du, du schaffst das?“
Nachdenklich runzelte Fisk die Stirn. „Das wird nicht einfach sein. Jedes Ratsmitglied wird von einem Wächter begleitet, wenn es in der Zitadelle unterwegs ist. Aber vielleicht könnte ich ihn irgendwie ablenken …“ Er rieb sich über die Arme, während er über eine Lösung nachdachte. „Ich kann es versuchen. Versprechen kann ich dir aber nichts. Wenn die Sache zu heiß wird, bin ich draußen. Und es wird …“
„Mich einiges kosten, ich weiß. Du darfst die Nachricht aber keinem anderen mitteilen.“
„Einverstanden.“
Wir besiegelten unsere Abmachung mit einem Handschlag, und ich teilte Fisk meine Nachricht mit. Er machte sich auf den Weg, um einige Helfer zu suchen, während ich zum Markt zurückging. Ich wollte einige Einkäufe erledigen und etwas essen. Dabei musste ich unbedingt den Eindruck vermeiden, dass ich nur ziellos umherschlenderte und die Zeit totschlug.
Immer wieder schweifte mein Blick zu den Türmen des Bergfrieds der Magier. Er lag im Nordosten der Zitadelle. Irgendwann konnte ich dem Wunsch, noch einmal die rosafarbenen Säulen der Eingänge zu betrachten, nicht länger widerstehen, und wie zufällig führte mich mein Weg dorthin.
Statt freundlich und einladend wie früher wirkte der kalte Stein nun abweisend und einschüchternd. Wie gerne wäre ich hineingegangen, um meine Kollegen und Freunde wiederzusehen! Wo waren Dax und Gelsi? Hatte man ihnen erlaubt, ihr Studium fortzusetzen? Ich fühlte mich blind und hilflos, abgeschnitten und ohnmächtig. Als hätte man mich ins Exil geschickt ohne die Aussicht, ihnen jemals wieder in die Augen sehen zu können.
Wächter der Daviianer standen neben den Wachposten des Bergfrieds und musterten mich misstrauisch. Da ich kein Aufsehen erregen wollte, ging ich zurück zu Fisks Versammlungsraum und wartete auf die Rückkehr des Jungen. Die Zeit kroch im Schneckentempo dahin. In einer Ecke des Zimmers spann eine kleine braune Spinne ihr kunstvolles Netz. Um sie zu stärken, suchte ich nach einem Insekt, das ich auf die klebrigen Fäden setzen konnte.
Gerade als ich auf dem Stuhl stand, um eine Motte zu packen, kam Fisk zurück. Ganz außer Atem berichtete er, dass er den Auftrag erfolgreich ausgeführt habe. „Ratgeber Zaltana hat gesagt, dass er sich heute Abend mit dir in seiner Wohnung treffen will.“ Vor dem nächsten Satz atmete er tief aus. „Er lässt dir ausrichten, dass seine Wohnung von einem Fälscher bewacht wird. Was ist ein Fälscher?“
„Ein daviianischer Zauberer.“ Das machte die Angelegenheit ziemlich kompliziert. „Um wie viel Uhr?“
„Jederzeit. Aber wenn du dich nach Mitternacht auf der Straße aufhältst, werden dich die Wachen festnehmen. Ich schlage vor, du gehst nach dem Abendessen. Wenn die Läden schließen, herrscht immer viel Betrieb, denn dann sind alle auf dem Nachhauseweg.“ Fisk seufzte. „Das war mal eine gute Zeit zum Betteln. Die Leute hatten Gewissensbisse, wenn sie an einem obdachlosen Kind vorbeiliefen und an ihr eigenes bequemes Bett dachten.“
„Es war einmal, Fisk. Das ist Vergangenheit. Inzwischen hast du bestimmt ein gemütliches Zuhause.“
Stolz richtete er sich auf. „Das Beste! Dabei fällt mir ein – du verschwindest besser, ehe meine Helfer zurückkommen. Wir treffen uns immer morgens und am späten Nachmittag.“
Ich bezahlte Fisk und bedankte mich für seine Unterstützung. „Falls du gefangen wirst, erzähle ihnen ruhig von mir. Wegen mir sollst du keine Probleme bekommen.“
Verwirrt schaute er mich an. „Aber die Daviianer könnten dich festnehmen und töten.“
„Besser mich als dich.“
„Nein. Es ist schon schlimm genug, und es wird noch
Weitere Kostenlose Bücher