Yelena und die verlorenen Seelen - Snyder, M: Yelena und die verlorenen Seelen
so.“
Eine Weile schwieg er. „Vielleicht haben Mondmann und die anderen sich verirrt.“
„Unwahrscheinlich. Wenn sie sich im Dschungel verlaufen hätten, hätte ich sie gefunden.“
„Marrok hat Angst davor, sich zu verirren“, erwiderte Leif mit leiser Stimme. „Und du fürchtest dich vor …“
„Leif, schlaf jetzt. Wir haben morgen einen langen Tag vor uns.“ Ich drehte mich auf die Seite und wandte ihm den Rücken zu. Ich wollte nicht, dass er über meine Ängste redete. Solange man sie nicht in Worte fasste, waren sie nicht wirklich vorhanden.
Es war kalt und unbequem. Ich wälzte mich hin und her, während ich versuchte einzuschlafen. Beunruhigende Träume von Feuer und Tod schwirrten mir durch den Kopf. Flammen loderten in einem angenehmen Traum und wuchsen unvermittelt, um die malerische Szene zu verschlingen und nichts als einen Haufen umherwirbelnder Asche von den Bildern übrig zu lassen. Der imaginäre Rauch ließ mich hustend erwachen. Mein Körper war schweißnass.
Um weitere Albträume zu vermeiden, betrachtete ich den Mond, der hinter den Bäumen des Waldes aufging. Als Ferde seine Raubzüge unternahm, um Seelen zu stehlen, hatten die Meister-Magier und ich eine Theorie entwickelt, der zufolge seine Ritualmorde mit den Mondphasen in Zusammenhang standen. Leider hatten wir uns geirrt. Er brauchte einfach nur genügend Zeit, um seine Opfer so lange zu foltern, bis sie sich seinem Willen unterwarfen. Auf diese Weise gelangte er in den Besitz ihrer Seelen, während sie starben. Die alten Efe-Symbole und -Rituale, die er anwendete, um ihre Seelen zu für sich zu gewinnen, hätten ihn zum mächtigsten Magier in Sitia gemacht – wenn es ihm gelungen wäre, alle zwölf zu stehlen.
Valek und ich hatten ihn davon abhalten können, auch noch Gelsis Seele zu stehlen und das Ritual zu vollenden. Nun allerdings war er frei und konnte es noch einmal versuchen. Und Cahil half ihm dabei. Wie konnte er nur so etwas tun? Es war mir unvorstellbar, dass Cahil sich da hineinziehen ließ, nachdem er mit eigenen Augen gesehen hatte, was Ferde den Mädchen antat. Trotzdem hatte er ihm bei seiner Flucht aus dem Kerker des Bergfrieds geholfen, und nun reiste er mit ihm. War er so versessen auf Macht? Den Thron von Ixia jedenfalls konnte er nicht länger beanspruchen. Wollte er nun stattdessen die Herrschaft über Sitia erlangen?
Ich betrachtete den Mond. Er war fast voll, und die helle Scheibe warf ihr Licht über die Landschaft. Ich dachte über die Kraft des Mondes nach und warum bestimmte Dinge wie das Kirakawa-Ritual nur funktionieren, wenn er am Himmel stand. Ich spürte die Zauberkraft der unsichtbaren Hülle über mir, aber der Mond weckte keinerlei Gefühle in mir.
Das Licht flackerte unmerklich, und Mondmann tauchte aus einem blauen Streifen des Mondscheins auf, als ob ihn meine Gedanken herbeigerufen hätten. Ohne Kleidung und ohne seine Waffe stand er dicht neben dem Feuer.
Bist du ein Traum ? fragte ich ihn.
Tiefe Furchen in seinem Gesicht verrieten seine Erschöpfung. Dennoch gelang ihm ein müdes Lächeln, und er antwortete: Vielleicht bin ich immer nur ein Traum gewesen. Was glaubst du ?
Ich glaube, ich bin im Moment zu müde, um mit dir über die philosophischen Probleme von Geschichtenwebern zu diskutieren. Und wenn du schon nicht real bist, dann mach dich wenigstens nützlich und verrate mir, wo du dich wirklich aufhältst .
Ich bin hier . Mit diesem Gedanken brach Mondmann zusammen.
12. KAPITEL
M it einem Satz war ich auf den Beinen und rannte zu der Gestalt, die ausgestreckt neben dem Lagerfeuer lag. Ich legte meinen Mantel um Mondmanns muskulöse Schultern und ließ ihn teilhaben an meiner Energie.
„Ist alles in Ordnung? Was ist passiert? Wo sind die anderen?“, bedrängte ich ihn.
„Allen geht es gut. Ich erkläre es später.“ Er zog einen Zipfel meines Mantels näher an sein Gesicht.
„Wirklich? Oder willst du mich wieder mit ein paar vagen Andeutungen abspeisen, wie ihr Geschichtenweber das immer tut?“
Als Antwort erhielt ich nur ein leises Schnarchen.
Ich unterdrückte den Wunsch, ihm mehr von meiner Kraft abzugeben und ihn zu wecken. Schlaf war die beste Methode für Mondmann, um seine Stärke zurückzugewinnen, nachdem er Magie angewendet hatte. Mir dagegen war es unmöglich einzuschlafen. Aus Leifs Satteltasche holte ich eine weitere Decke und breitete sie über Mondmann aus, da mein Mantel ihn nicht ausreichend vor der kühlen Nachtluft schützen konnte.
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