Yelena und die verlorenen Seelen - Snyder, M: Yelena und die verlorenen Seelen
überwältigte mich mitunter und führte mir vor Augen, wie ahnungslos ich im Grunde noch war.
Doch wieso hatte ich die Fähigkeit zur Seelenfinderin? Meine Eltern verfügten beide nicht über genügend Macht, als dass sie in den Bergfried eingeladen worden wären. Von ihnen hatte ich das Talent also nicht geerbt. War es reine Glückssache?
Leif unterbrach meine Gedanken. „Kennst du sonst noch jemanden, der mit Pferden sprechen kann?“
„Der Stallmeister hat mal gesagt, er wisse, wie Pferde fühlen und was sie vorhaben, aber in seinem Kopf hört er nicht ihre Worte an sich.“ Als ich ihm seinerzeit von meinem Talent erzählte, hatte er mich angesehen, als wären mir Flügel gewachsen.
„Und in Ixia?“
Ich überlegte. Als der Commander vor mehr als sechzehn Jahren die Herrschaft in Ixia an sich gerissen hatte, hatte er Valek, seinem Sicherheitsberater, befohlen, alle Magier zu beseitigen. Und wann immer ein Bewohner Ixias magische Fähigkeiten entwickelte – was in der Regel nach der Pubertät geschah –, tötete Valek die betreffende Person, wenn sie nicht rechtzeitig nach Sitia geflohen war. Es gab also keine Zauberer in Ixia. Doch dann fiel mir Porter ein, der sich um die Hundezwinger des Commanders kümmerte. Er verfügte über ein verblüffendes Geschick, wenn er mit den Hunden arbeitete, und er brauchte weder Peitschen noch Pfeifen, um sie sich gefügig zu machen.
„Einen vielleicht“, antwortete ich. „Obwohl er es niemals zugeben würde. Das wäre nämlich sein Todesurteil.“
„Vielleicht können wir ihm dabei helfen, nach Sitia zu fliehen.“
„Ich glaube kaum, dass er das möchte.“
„Warum nicht?“ Leif war sichtlich verblüfft von dem Gedanken, dass jemand das Land nicht verlassen wollte.
„Das erkläre ich dir später.“ Im Moment war ich einfach zu erschöpft, um Leif über die Politik des Commanders aufzuklären. Für ihn, der in Sitia aufgewachsen war, war Ixia ein grauenhaftes Land. Die Menschen dort mussten ausgesprochen unglücklich sein, weil sie gezwungen wurden, Uniformen zu tragen und weder heiraten noch in ein anderes Haus ziehen durften, ohne vorher eine Genehmigung zu beantragen. Ixia war nicht vollkommen, aber dort zu leben hatte auch seine Vorteile. Einer davon war Valek – für mich jedenfalls.
Von Tag zu Tag fehlte er mir mehr. Ich vermisste die Gespräche über Gifte und ihre Wirkungsweisen, die wir stundenlang geführt hatten, ebenso wie unsere ausführlichen Diskussionen über Kampftaktiken, und außerdem sehnte ich mich nach einem Seelengefährten, der wusste, was mir fehlte, noch bevor ich es selbst wusste. Ich seufzte. Besser, gegen Magie immun zu sein wie Valek, als diese gefürchtete Seelenfinderin zu sein. Eine Seelenfinderin zudem, die nichts gegen Flammenmenschen ausrichten konnte.
Die Einstellung des Commanders zur Magie erschien mir auf einmal gar nicht mehr so abwegig. Und was die Würmer unternommen hatten, um ihre Macht zu vermehren, war nach wie vor schrecklicher als alles, was ich bisher in Ixia erlebt hatte.
„Leif, was hat es eigentlich mit diesem Flammenmenschen auf sich?“, wollte ich wissen. Seit dem Zwischenfall im Dschungel hatte ich noch keine Zeit gehabt, mit ihm darüber zu reden. „Hast du schon einmal einen Zauberer aus dem Feuer steigen sehen?“
„Nein. Roze Featherstone kann zwar riesige Feuer entfachen, die ganze Häuser vernichten, aber sie verbrennt, wenn sie ihnen zu nahe kommt. Seit du nach Hause gekommen bist, habe ich alle möglichen merkwürdigen Varianten von Zauberei erlebt. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass du das Beste und das Schlechteste in den Menschen ans Licht bringst.“ War das ein Lob oder ein Tadel?
Ich war alles andere als amüsiert. Aber ich bohrte weiter. „Die Würmer wenden alte magische Rituale an. Weißt du irgendetwas darüber?“
„Die Kraft der Geschichtenweber der Sandseeds ist legendär. Früher wurden sie Efe-Krieger genannt. Ich habe die Erzählungen über die Krieger immer für übertrieben gehalten.“ Er machte eine Pause. „Bis jetzt. Vor zweitausend Jahren, lange bevor sich die Sippen von Sitia vereinten, herrschte der Efe-Stamm über die anderen. Da sie Blutzauber anwendeten, hatten die Efe keine Gegner. Die anderen Clans gaben ihnen, was immer sie verlangten, um sie versöhnlich zu stimmen – Speisen, Gold oder Opfer. Irgendwann stritten sich die Herrscher der Efe, und ein Bürgerkrieg brach aus. Bei der Schlacht, die daraufhin folgte, wurden die Daviian-Berge
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