Yelena und die verlorenen Seelen - Snyder, M: Yelena und die verlorenen Seelen
Zögernd warf ich ein paar Scheite in die Flammen, damit das Feuer uns wärmte.
Während ich in die tanzenden Flammen starrte, überlegte ich, welche Überraschungen noch auf mich warteten. Bald würde ich eine Antwort bekommen, aber ob ich ihr gewachsen war, vermochte ich beim besten Willen nicht zu sagen.
Trotz des Lärms und des Trubels, den Händler und Käufer auf dem Markt veranstalteten, wachte Mondmann erst auf, als die Sonne ihren Scheitelpunkt erreichte. Nachdem der Geschichtenweber endlich die Mahlzeit verspeist hatte, die Leif in weiser Voraussicht für ihn zubereitet hatte, brannte ich so sehr vor Ungeduld, dass ich mit bloßen Händen hätte Bäume ausreißen können.
„Jetzt erzähl uns endlich alles“, drängte ich ihn, als er seinen letzten Bissen in den Mund steckte.
Mein Eifer schien ihn zu amüsieren. Seinem Gesichtsausdruck konnte man ansehen, dass er noch immer sehr erschöpft war, aber in seinen Augen lag schon wieder dieses belustigte Funkeln.
„Und komm mir bloß nicht mit deinem rätselhaften Geschichtenweber-Hokuspokus, oder ich werde …“
„Was?“, unterbrach Mondmann mich.
„Dir wehtun. Und zwar gewaltig. Also rede endlich!“
Mondmann warf Leif einen Blick zu.
Mein Bruder zuckte mit den Schultern. „Ich habe gesehen, was sie mit ihrem Streitkolben anstellen kann. Also, wenn du deinen Krummsäbel griffbereit hättest …“
„Zu riskant“, meinte Mondmann. Er sah mir an, dass ich immer wütender wurde. Deshalb beschloss er, endlich mit seinem Bericht zu beginnen. Eine kluge Entscheidung!
„Nachdem du und Leif den Flammenmenschen abgelenkt hattet, sind wir den Würmern durch den Dschungel gefolgt. Und wir hätten sie auch erwischt, wenn du nicht meine Hilfe benötigt hättest.“ Mondmann musterte mich mit einem vorwurfsvollen Blick. „Wie geht es dem Kundschafter?“
„Es geht ihm gut. Er hat überlebt.“
„Ist er wieder ganz der Alte?“
Ich zögerte, denn ich wollte das Thema nicht wechseln. „Er ist in Ordnung. Erzähl weiter.“
„Dir zu helfen hat mich meine ganze Energie gekostet, und ich musste mich eine Weile ausruhen“, fuhr Mondmann fort. „Marrok ist den Würmern bis zum Markt von Illiais und dann nach Norden bis Booruby hinterhergelaufen. In der Stadt ist sehr viel los, und wir haben die Spur der Würmer verloren. Es waren einfach zu viele Menschen dort.“
Er schauderte. Mir fiel ein, dass Leif behauptet hatte, Mondmann sei klaustrophobisch. Die Stadt war also das genaue Gegenteil der weiten und offenen Avibian-Ebene, wo er lebte. Sie lag im nördlichen Teil des Landes, das dem Cowan-Clan gehörte, und nach Osten hin grenzte sie an die Ebene – viel zu weit entfernt, als dass ich sie mit meiner magischen Energie hätte erreichen können.
„Wo sind die anderen?“, wollte Leif wissen.
„In einem Gasthof haben wir ein Zimmer gemietet. Ich habe mich dann auf den Weg zu euch gemacht und Tauno und Marrok zurückgelassen, damit sie so viel wie möglich über die Daviianer in Erfahrung bringen.“
Nachdenklich ließ Leif seinen Blick über das Lager schweifen. „Wie bist du eigentlich hierhergekommen?“
Mondmann grinste. „Dank einer geheimen Geschichtenwebermacht.“
„Du hast das Mondlicht genutzt“, behauptete ich.
Anerkennend strahlte er mich an. „Ich bin durch die Schattenwelt gegangen. Sie wird erst im Mondlicht sichtbar. Und ich habe Zugang zu ihr.“
„Hast du mir dort auch die Geschichte meines Lebens vorgeführt?“ Ich erinnerte mich an die dunkle Ebene, auf der mir Bilder aus meiner Kindheit erschienen waren.
„Ja. Es ist der Ort, an dem ich die Fäden meiner Geschichten entwirre, um anderen zu helfen, aus ihrer Vergangenheit zu lernen, während sie ihre Zukunft weben.“
„Ist es ein konkreter Ort?“ Ich war zweimal dort gewesen. Beim zweiten Mal hatte Mondmann Leif und mich an diesem Platz zusammengebracht, damit wir die Geschichte unserer Feindschaft und unsere Wut aufeinander aufarbeiten konnten. Beide Male hatte ich mich allerdings auf seltsame Weise ätherisch gefühlt, als ob mein Körper sich in Rauch verwandelt hätte.
„Er existiert in den Schatten unserer Welt.“
„Kann jemand mit magischen Kräften in diese Schattenwelt eindringen?“
„Bis jetzt verfügen nur Geschichtenweber über diese Gabe. Aber ich warte auf jemanden, der mutig genug ist, dieses Talent für sich zu beanspruchen.“ Er sah mir in die Augen, und ich konnte einen Blick auf die Schatten erhaschen. Rasch wandte ich den Kopf
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