Yoga-Anatomie
mehr die Möglichkeit, die Nerven dazu zu benutzen, Tonusveränderungen wahrzunehmen oder Feinabstimmungen im Muskeltonus vorzunehmen. 5
Muskeln üben Zug aus. Bei einer konzentrischen Kontraktion ist die Zugkraft des Muskels größer als der Widerstand. Bei einer exzentrischen Kontraktion ist die Zugkraft des Muskels geringer als der Widerstand. Bei einer isometrischen Kontraktion ist die Zugkraft des Muskels genauso groß wie der Widerstand.
In allen drei Fällen ist der Muskel aktiv und die Moleküle in den Myofibrillen reiben sich aneinander, um Zugkraft zu erzeugen. Der Muskel verschiebt seine Fasern nie so, dass sie auseinandergleiten – das passiert nur deshalb, weil der Widerstand größer ist als die erzeugte Zugkraft.
Wie können wir dann Dinge von uns wegschieben? Bei jeder Gelenkaktion ist ein Muskel beteiligt, der sich verkürzt, und einer, der länger wird. Egal ob das Gelenk gebeugt, gestreckt oder gedreht wird, immer werden einige Muskeln gelängt und andere verkürzt. Die kürzer werdenden Muskeln kontrahieren konzentrisch, die länger werdenden Muskeln sind in unterschiedlichem Maß entspannt oder kontrahieren exzentrisch.
Flexibilität und Kraft hängen vom Zusammenwirken der Muskeln mit dem Nervensystem ab. Die klassische Definition von Flexibilität ist die Fähigkeit des Muskels, sich zu längen, und von Stärke die Fähigkeit des Muskels, Kraft und Schnelligkeit zu erzeugen. Flexibilität und Stärke hängen ebenso vom Nervensystem ab wie auch von der Fähigkeit der Muskelfasern und des Bindegewebes, sich in der Länge anzupassen.
In den meisten Fällen wird die Flexibilität nicht von der tatsächlichen Länge des Muskels oder der Muskelfasern bestimmt. Die Länge des Muskels im Ruhezustand, sein Tonus, und der Umfang seiner Streckung werden von den propriozeptiven Nervenendigungen im Muskel festgelegt. Diese Einstellungen werden im Nervensystem durch frühere Erfahrungen gesetzt, aus denen hervorgeht, was angemessen, sicher und funktionell ist.
Die Kraft, die ein Muskel erzeugen kann, hängt mehr von seinen physischen Eigenschaften ab, unter anderem von der Anzahl der Muskelfasern. Muskelkraft ist also ein Produkt des Nervensystems, das Muskelfasern rekrutiert und die umgebenden Muskeln und kinetischen Ketten koordiniert. Wenn das Nervensystem beim Rekrutieren und Organisieren der Muskeln ineffizient vorgeht, wird die funktionelle Kraft eines Muskels geschmälert, indem er in eine Lage gebracht wird, in der er sich anstrengen muss, den Widerstand anderer Muskeln zu überwinden.
Flexibilität und Kraft zu steigern, ist ein Prozess, durch den das Nervensystem mit erhöhter Aufmerksamkeit und ständigem Üben viel mehr geschult wird, als nur durch Dehnübungen und den immer gleichen Wiederholungen.
Fazit
Muskeln umgeben Gelenke und umhüllen die Knochen in unglaublich raffinierten, spiralförmigen Schichten. Von der embryologischen Entwicklung her gesehen folgen die Muskeln gleichmäßigen Bahnen von der Körpermitte bis in die Extremitäten. Diese dreidimensionalen Bahnen erlauben es den Muskeln, unglaublich differenziert auf die zu bewegenden Knochen einzuwirken.
Dreidimensionalität bedeutet auch, dass sich die Muskeln bei jedem Menschen zu einzigartigen Mustern verweben, deren Verkürzung und Längung die Bewegungen des Alltags ermöglichen, wie Gehen und Reden, das Öffnen einer Flasche oder Zähneputzen. Das Muster, das bei dem einen Menschen ausgeglichene Bewegungen hervorruft, ist nicht unbedingt dasselbe, das bei einem anderen angewandt wird.
Wenn unsere Bewegungsmöglichkeiten von überholten Vorstellungen geprägt sind, enden wir mit falschen Verallgemeinerungen und Annahmen über die Rolle der Muskeln, die für Haltung und Bewegung zuständig sind.
Was passiert, wenn wir erwarten, dass in einer bestimmten Lage jeder Mensch seine Muskeln auf die gleiche Weise einsetzt? Dass es zur Durchführung einer Bewegung eine »korrekte« Abfolge von Muskeltätigkeiten gibt? Dass das für jeden Menschen gilt? Und dass man durch mehr Anstrengung mehr Kraft gewinnt?
Wenn wir glauben, eine endgültige und vollständige Analyse der Muskelbewegungen in ihren einzigartigen und komplexen Abfolgen, wie sie jedem Mensch innewohnen, liefern zu können, schaffen wir uns nur Hindernisse und schränken das Entstehen neuer Bewegungsmöglichkeiten ein. Wenn wir dagegen offen für Neues bleiben, werden wir feststellen, wie das Muster eines jeden Menschen, das wir begutachten, uns unglaublich viele
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