Yoga-Anatomie
dehnen tatsächlich dasselbe wie längen .
Wenn mit dehnen jedoch ein bestimmtes Gefühl im Muskel gemeint ist, kann es nicht synonym mit längen gebraucht werden. Es ist durchaus möglich, einen Muskel zu längen, ohne dabei ein Dehnungsgefühl zu haben – genau das tun wir fast ständig. Beim Gehen, Sprechen und Hochheben einer Tasse zum Beispiel werden Muskeln gelängt und verkürzt, ohne dass dabei überhaupt ein muskulärer Reiz wahrgenommen wird.
Ursprung und Ansatz – irrtümliche Begriffe?
Die Punkte, an denen Muskeln mit den Knochen verwachsen sind, werden oft als Ursprung und Ansatz bezeichnet. Als Ursprung gilt der Befestigungspunkt, der dem Rumpf oder der Körpermitte näher ist, als Ansatz jener Punkt, der weiter weg von der Mitte und näher an den Fingern, den Zehen, dem Schädel oder dem Steißbein liegt. Daraus folgt, dass der Ursprung der feste Punkt und der Ansatz der bewegliche Punkt ist. Das gilt jedoch nur für manche Bewegungen. Immer wenn wir den Rumpf im Raum bewegen, kehren wir die sogenannten Ansatz- und Ursprungspunkte um.
Diese Unterteilung der Muskelbefestigungen bedeutet auch, dass sich die Muskeln von einem Punkt zum nächsten hin entwickeln und irgendwie vom Ursprung zum Ansatz hinwachsen. Vom Entwicklungszustand her ist das jedoch nicht der Fall. Stattdessen wandern Muskelzellhaufen zum zukünftigen Ort ihres Wirkens und organisieren sich dort. Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen linearen Prozess von Punkt zu Punkt.
Beziehungen zwischen Muskeln
Kein Muskel arbeitet isoliert. Sämtliche Muskeln des kompliziert verwobenen Muskelsystems treten ständig in Kontakt miteinander und balancieren, unterstützen, lenken und modulieren sich gegenseitig im Netzwerk des Bindegewebes.
Die Beziehungen zwischen Muskeln können auf vielfältige Weise organisiert sein. Wir können unsere Aufmerksamkeit darauf richten, wie sich die Muskeln um ein einzelnes Gelenk ausbalancieren, wie die tief liegenden und oberflächlich verlaufenden Muskelschichten wirken oder wie kinetische Ketten aus Muskeln und Bindegewebe den Rumpf und die Extremitäten miteinander verbinden.
Spieler-Gegenspieler-Paarungen
Eines der geläufigsten Ordnungsmuster von Muskeln ist die Paarung von Spieler und Gegenspieler.
Diese Sichtweise orientiert sich an bestimmten Gelenkaktionen und Muskeln, die diese Gelenkaktionen erzeugen und modulieren.
Ausgangspunkt ist ein bestimmtes Gelenk, das zentrale Gelenk, und eine bestimmte Gelenkaktion. Bei jeder Gelenkaktion gibt es Muskeln, die die Bewegung erzeugen, und Muskeln, die der Bewegung entgegenwirken. Diejenigen Muskeln, die die Bewegung verursachen, nennt man Spieler oder Agonisten, die opponierenden Muskeln sind die Gegenspieler oder Antagonisten. 1 Die Spieler- und Gegenspieler-Muskeln haben eine direkte Verbindung zum Nervensystem, und zwar im Rückenmark. Wird einer der Muskeln aktiv, erhält der andere die Anweisung zu reagieren und sich anzupassen. Diese Beziehung wird reziproke Innervation (= wechselseitige nervale Versorgung) oder reziproke Inhibition oder Hemmung genannt. Nicht alle Spieler-Gegenspieler-Paare stehen auf der Ebene des Rückenmarks miteinander in Beziehung. Manche sind auch durch wiederholte Bewegungsmuster miteinander gepaart, die auf höherer Ebene im Gehirn abgespeichert sind statt im Rückenmark.
Abb. 4.5 Wenn das zentrale Gelenk der Ellenbogen und die Gelenkaktion die Beugung gegen die Schwerkraft ist, fungiert der Bizeps als Spieler und der Trizeps als Gegenspieler.
Die Rolle von Spieler und Gegenspieler ist relativ und wechselt je nach Gelenk und Gelenkaktion. Diese Begriffe bezeichnen keine absolute, dem Muskel anhaftende Eigenschaft, sondern seine Beziehung zu anderen Muskeln während einer bestimmten Gelenk aktion. Ob ein Muskel Spieler oder Gegenspieler ist, hängt davon ab, welches Gelenk und welche Gelenkaktion gerade im Mittelpunkt stehen und worin die Bewegung ihren Widerstand findet (Abb. 4.5).
Die Muskeln, die die Arbeit des Spielers oder Gegenspielers unterstützen und modulieren, werden Synergisten genannt. Die Synergisten verhindern auch die übermäßige Bewegung eines Gelenks oder stabilisieren einen Teil des Körpers, damit ein anderer bewegt werden kann. Wenn Synergisten diese stabilisierende Funktion übernehmen, werden sie auch Fixatoren genannt. Mit dem Begriff Synergist wird auch alternativ eine Gruppe von Muskeln bezeichnet, die zusammenarbeiten, um eine Bewegung erzeugen. Synergisten sind wichtige Muskeln, die
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