Yoga-Anatomie
einem umfangreichen Stuhlgang oder während der Schwangerschaft schwerer.
Abb. 1.5 Der Wasserballon verändert seine Form, nicht aber sein Volumen.
Anders als die Bauchhöhle ändert die Brusthöhle sowohl Form als auch Volumen. Sie verhält sich wie ein elastischer, mit Gas gefüllter Behälter, etwa wie der Balg eines Akkordeons. Drückt man das Akkordeon zusammen, so verringert man das Volumen des Balgs und die Luft wird hinausgepresst. Zieht man den Balg auseinander, so steigt das Volumen und Luft wird angesaugt (Abb. 1.6). Das liegt daran, dass das Akkordeon komprimierbar und expandierbar ist wie die Luft selbst. Das Gleiche gilt für die Brusthöhle, die im Gegensatz zur Bauchhöhle beim Atmen ihre Form und ihr Volumen ändern kann.
Abb. 1.6 Das Akkordeon verändert Form und Volumen.
Stellen wir uns nun Brust- und Bauchhöhle als Akkordeon vor, das auf einem Wasserballon ruht. Dieses Bild vermittelt einen Eindruck vom Verhältnis der beiden Räume beim Atmen: Bewegung in einem Raum führt zwangsläufig zu Bewegung im anderen. Erinnern wir uns daran, dass während des Einatmens (der Formveränderung, die es zulässt, dass Luft durch den atmosphärischen Druck in die Lunge gedrückt wird) die Brusthöhle an Volumen zunimmt. Sie drückt von oben auf die Bauchhöhle, die aufgrund dieses Drucks ebenfalls ihre Form ändert.
Unsere Definition von Atmung als Formveränderung hilft uns zu verstehen, was effektives oder eingeschränktes Atmen ausmacht, nämlich die Verformbarkeit beziehungsweise Nichtverformbarkeit der Strukturen, die die Hohlräume unseres Körpers umgeben.
Das Universum atmet uns
Volumen und Druck stehen in einem Umkehrverhältnis: Steigt das Volumen, verringert sich der Druck, wird das Volumen geringer, steigt der Druck. Da Luft immer dahin strömt, wo Unterdruck herrscht, führt die Erweiterung des Lungenvolumens (wie beim Akkordeon) zu Unterdruck und zum Einströmen von Luft. Das ist das Einatmen.
Ein interessanter Punkt hierbei ist, dass wir, obwohl es sich anders anfühlt, die Luft in den Körper nicht einsaugen . Im Gegenteil, die Luft wird vom atmosphärischen Druck, der uns immer umgibt (1,03 kg/cm²), in den Körper gepresst. Die Kraft, die die Luft in die Lungen bringt, ist also in Wirklichkeit außerhalb des Körpers. Die Energie, die wir zum Atmen einsetzen, schafft eine Formveränderung, die den Druck im Brustkorb verringert und es zulässt, dass das Gewicht der Erdatmosphäre Luft in den Körper drückt. Anders gesagt: Wir schaffen den Raum und das Universum füllt ihn.
Bei entspannter, ruhiger Atmung (etwa im Schlaf) ist das Ausatmen eine passive Umkehrung dieses Vorgangs. Die Brusthöhle und das Lungengewebe, die durch das Einatmen ausgedehnt wurden, ziehen sich wieder zum Ausgangsvolumen zusammen, wobei sie die Luft hinauspressen und zu ihrer ursprünglichen Form zurückkehren. Man spricht hier vom »passiven Rückprall« ( passive recoil ). Ist die Elastizität dieses Gewebes irgendwie vermindert oder gestört, so wird der Körper keine passive Ausatmung mehr vollbringen, und das führt zu einer ganzen Reihe von Atemproblemen. Bei einem Emphysem oder bei Lungenfibrose ist zum Beispiel die Elastizität des Lungengewebes stark eingeschränkt.
Bei Atemmustern, die aktives Ausatmen einschließen, wie etwa das Auspusten von Kerzen, Sprechen und Singen sowie einige Yoga-Übungen, zieht sich die Muskulatur, die die beiden Hohlkörper umgibt, so zusammen, dass die Bauchhöhle nach oben gegen die Brusthöhle gedrückt wird oder die Brusthöhle nach unten gegen die Bauchhöhle oder beides gleichzeitig.
Dreidimensionale Formveränderungen beim Atmen
Abb. 1.7 Dreidimensionale Formveränderung des Brustkorbs beim Einatmen (a) und Ausatmen (b).
Die Lunge nimmt einen dreidimensionalen Raum in der Brusthöhle ein, und wenn sich dieser Raum verändert, damit eine Luftbewegung stattfindet, ändert die Lunge ihre Form ebenfalls dreidimensional. Speziell beim Einatmen in die Brusthöhle wird das Volumen in drei Richtungen erweitert: von oben nach unten, von Seite zu Seite und von vorne nach hinten; beim Ausatmen verringert sich das Volumen ebenfalls in den drei genannten Dimensionen (siehe Abb. 1.7).
Abb. 1.8 Formveränderung der Bauchregion bei der Atmung: Einatmung = Streckung der Wirbelsäule (a), Ausatmung = Beugung der Wirbelsäule (b).
Da jede Formveränderung des Brustkorbs unweigerlich mit einer Formveränderung der Bauchhöhle einhergeht, kann man auch für die Bauchhöhle
Weitere Kostenlose Bücher