Yoga Bitch
beweglicher, der obere Rücken gestärkt. Yoga, sagen Sie?«
»Ja.«
»Machen Sie weiter.«
Also, wenn das der Arzt sagte, dann musste ich es wohl tun. Bis dahin wandte ich mich der Arbeit zu. Wie so oft am Anfang einer Studie beschloss ich, mir Gedanken über die Jugend zu machen, und besorgte mir einige schon veröffentlichte Studien zu dem Thema. Jawohl, ich musste über die Jugend lesen, denn obwohl ich nicht alt war, war ich auch nicht mehr jung. Ich wusste nur, dass ich als Teenie in Sachen Körper-Know-how ein totaler Idiot gewesen war, genauso wie die Generation vor mir sich in diesen Dingen weniger auskannte als ich.
Die Zahlen besagten Folgendes: Laut einer Studie der Zeitschrift Bravo aus dem Jahr 2009 sind 56 Prozent der 11- bis 17-jährigen Mädchen und 69 Prozent der Jungen mit ihrem Aussehen zufrieden. (2006 wurde bereits eine ähnliche Studie durchgeführt: Da waren noch 66 Prozent der Mädchen mit ihrem Aussehen zufrieden gewesen.) 27 Prozent der befragten Mädchen wären gerne schlanker, 2006 hatten nur 18 Prozent diesen Wunsch geäußert. Eine Auswertung von Größe und Gewicht der Befragten ergab aber, dass 78 Prozent normalgewichtig waren. Jedes dritte Mädchen und jeder zehnte Junge hat schon mal eine Diät gemacht. Jeder sechste Jugendliche würde eine Schönheits-OP in Betracht ziehen.
Eine andere Bravo -Studie aus dem Jahr 2003 zeigt, dass 71 Prozent der 12- bis 18-jährigen jungen Deutschen glauben, dass das Aussehen zukünftig wichtiger als der Charakter sein wird.
Dagegen sagt eine Studie, die im Auftrag des Kosmetikunternehmens Dove durchgeführt wurde, dass 92 Prozent aller Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren gerne mindestens einen Aspekt ihres Äußeren verändern würden. Am häufigsten wurde mit 35 Prozent das Gewicht benannt.
Natürlich kann man jetzt schreien: »Wäääh, die sind ja alle gestört, wo soll das hinführen?« Man kann aber auch kurz innehalten und überlegen: Wenn 27 Prozent der jungen Mädchen gerne schlanker wären, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass drei Viertel der Mädchen nicht gerne schlanker wären und wenn 56 Prozent mit ihrem Aussehen zufrieden sind, ist das doch mehr als die Hälfte aller Teenies. Als ich ein Teenie war, waren alle meine Freunde mit ihrem Aussehen unzufrieden, was wahrscheinlich in der Natur der Dinge und an den hormonellen Gegebenheiten der Pubertät liegt. Wenn ich heute meine erwachsenen Freundinnen befragen würde, wären nicht 27, sondern mindestens 92 Prozent gerne schlanker. Und so weiter. Insofern muss man den Hut ziehen vor der heutigen Jugend und ihrer relativen Normalität, vor allem, wenn man bedenkt, was ihnen nonstop in den Medien serviert wird.
Das Bekenntnis zum attraktiven Körper liegt bei Jugendlichen ebenso wie bei Erwachsenen voll im Trend. Das sogenannte Körperbewusstsein erfasst einen neuen jugendkulturellen Zeitgeist. Das hat zur Folge, dass sich die Teenies von heute mit Sport und bewusster Ernährung auskennen und sogar auf den einen oder anderen kleineren chirurgischen Eingriff nicht verzichten würden. Sie gestalten ihren Körper wie ihren Handyklingelton und wollen ihn vorführen, auch die Jungs. Es geht der Jugend darum, den Körper zu beherrschen: Er soll so aussehen, wie der Geist es attraktiv findet, instrumentalisiert für den Lifestyle. Wenn man sich das so anhörte, war ich vielleicht doch gar nicht so alt, wie ich mir vorkam. Ich wollte das auch alles, jetzt, auf meine alten Tage!
Es ist meiner Meinung nach ein großer Irrtum, dem hysterischen Instinkt nachzugeben und anhand der Studienergebnisse Alarm zu schlagen oder zu verzweifeln. Die Jugend heutzutage ist nicht gestörter als irgendeine andere, sie versucht nur, aus dem, was wir ihnen aufgetischt haben, schlau zu werden. Die Jugend formt nicht nur die Zukunft, sie passt sich auch der Gegenwart an und entwickelt das weiter, was wir ihnen vorleben und vorgeben. Ich denke, wenn man ähnliche Umfragen vor 60 Jahren durchgeführt hätte, wären sie im Rahmen der damals gegebenen Machbarkeiten ähnlich ausgefallen. Vielleicht schreien wir auch nur »Oh Mann!«, weil wir neidisch sind, welche Möglichkeiten die Jugend heute hat, das optisch Beste aus sich zu machen.
Natürlich kommt es auch darauf an, was die Eltern einem vorleben. In den USA, in denen Schönheitsoperationen in bestimmten Schichten die Norm sind, kam 2008 ein Kinderbuch mit dem Titel My Beautiful Mommy auf den Markt. Was sich niedlich anhört, ist in Wirklichkeit ziemlich
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