Yoga Bitch
Erleuchtung abschalten können? Müsste sie nicht Veganerin werden und ein paar Monate im Jahr in Höhlen chanten müssen? Ich hatte auch Angst, dass sich Polly von einer Sucht (Workaholismus) in eine andere Sucht werfen würde: eine Mischung aus Sport- und Spiritualismus-Sucht.
Davon war ich weit entfernt. Mir würde es nicht in den Sinn kommen, kein Fleisch zu essen, aber das erwiesen gesündere Essensverhalten der Yogis beschäftigte mich durchaus. Und da ich jetzt ein Yogi war, musste mich das doch auch betreffen, nicht wahr? Bald vielleicht? Ich hingegen suchte immer noch nach einer Methode, die mir beibringen würde, genau danach zu greifen, was mein Körper benötigte – nicht mehr und nicht weniger und nicht öfter. Ich wollte das, was Sophies Schwester Marie mit Slow Food gefunden hatte. (Dazu muss ich sagen, dass ich es natürlich ebenfalls versucht, aber den Start dummerweise in eine deadlinestarke Phase gelegt hatte, in der gar nichts slow war. Somit war das Thema in zwei Tagen durch, was für schlechte Laune sorgte, denn eine abgebrochene Diät ist schlimmer als eine nicht angefangene. Wobei Slow Food ja keine Diät ist. Und trotzdem bin ich daran gescheitert! Das war doch irgendwie eine Leistung für sich.)
Jedenfalls wurde ich bald wieder mit einer Methode konfrontiert, die, ähnlich wie beim Slow Food unseren armen, verschütteten, von Fast Food vergifteten Instinkt als Ausgangspunkt nimmt. Polly entschied sich nämlich, als Detox die sogenannte Instincto-Therapie zu machen, und das wollte ich aus zwei Gründen beobachten: erstens weil auch mir das Fasten bald bevorstand und ich mich auf den Leidenslevel vorbereiten wollte, und zweitens wegen der Trendstudie, Listenpunkt »Detox«.
Die Instincto-Therapie sah sich natürlich nicht als Diät, aber seien wir mal ehrlich: Bei dem mageren Speiseplan aus ungekochten Nahrungsmitteln hätten sich meine 17 Pfund ziemlich schnell verabschiedet. Allerdings hätte ich dafür ganz schön leiden müssen. Der Begründer der Instincto-Therapie hieß übrigens mit Nachnamen Burger – hier konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen – und hatte mit dieser Methode seinen Rachenkrebs im fortgeschrittenen Stadium geheilt. Schon nach einer dreiwöchigen Umstellung auf rein rohe Nahrung, behauptet Burger, sage einem der wiedererwachte Nahrungsinstinkt, welches rohe Nahrungsmittel man in dem Moment benötigt. Die Therapie sah so aus: Man aß morgens nicht, mittags durfte man Obst und abends Proteine essen. Was man zu sich nahm, entschied die eigene Nase: nämlich das, was am besten roch. Das Wichtige war, dass man die Lebensmittel nur roh verspeiste, auch Fleisch und Fisch, und sie nicht salzte oder würzte. Trotzdem sieht sich die Instincto-Therapie nicht als asketisch an, sondern als Genuss. Studien zufolge ist die Nährstoffversorgung bei der instinktiven Kost überdurchschnittlich gut, Kritiker sagen aber, dass rohe Lebensmittel schlechter verdaut würden. Mir jedenfalls erschien ein rohes Steak brutaler als die Vorstellung, eine Woche lang zu fasten.
Polly rief mich an. Sie hatte sich bereit erklärt, mir zu berichten, wie es ihr beim Detox ging.
Sie sagte: »Morgens nicht zu essen ist Scheiße. Ich kann eigentlich gar nicht funktionieren ohne Frühstück. Und dann mittags, als ich am Obst riechen sollte, konnte ich gar nichts riechen. Außerdem sah mir dabei der Psycho vom Rückgebäude schräg gegenüber zu, als ich abwechselnd zehn Minuten lang an Äpfeln und Pfirsichen und Mangos roch. Jetzt denkt der, dass ich spinne.«
»Und, was hast du dir dann errochen?«
»Mangos. Aber ich glaube, nur deshalb, weil mein Lieblingsduschgel auch nach Mango riecht. Na ja, bin gespannt auf die rohen Proteine heute Abend. Hilfe! Ach übrigens: Gemüse kann ich gar nicht riechen. Ist das normal?«
»Ich glaube schon. Bitte halte mich auf dem Laufenden.«
»Klar. Detox live.«
*
Ich war seit dem kleinen Unfall nicht mehr beim Yoga gewesen. Das fühlte sich nicht gut an, wie eine erste Krise zwischen mir und dem großen Y, und ich wusste, wie schnell ich einen Lover verlassen konnte, wenn er mich langweilte. Es musste etwas geschehen. Vielleicht ein neues Yoga-Studio? Die nötige Motivation gab mir mein Orthopäde, der die Ischiasnervgeschichte behandelt hatte. Er murmelte zufrieden nach der Untersuchung: »Das sieht ganz gut aus. Haben Sie nach der Therapie mit Rückenübungen angefangen?«
»Ich mache Yoga.«
»Hm. Ja, sehr gut. Der untere Rücken ist viel
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