Yoga Bitch
realisierten, dass sich ihr Körper verändert und ab jetzt alles bergab geht?
Ich stieß bei meinen Recherchen auf eine Stiftung in München, die sich für junge Mädchen engagierte und die ganze Thematik intelligent und zeitgemäß anzugehen schien. Die Stiftung veranstaltete in der darauffolgenden Woche einen Workshop, der »Körper-Kult und Schönheitsideale« hieß. Es würden Experten dabei sein und auch eine bekannte Schauspielerin, die die Stiftung unterstützte. Ich setzte mich mit der Direktorin der Stiftung in Verbindung und bat sie, mich und Sophie als Beobachterinnen zuzulassen. Zwei Tage später flogen wir nach München.
9
»Zuerst ist man froh, keine Hüften
und Brüste zu haben. Dann bekommt
man sie und es fühlt sich komisch an.
Und gerade wenn man anfängt, sie zu
mögen, fangen sie an zu hängen.«
Cindy Crawford
Kaum in München gelandet, kaufte ich wie immer eine Breze und eine Butterbreze, denn das kriegen Berliner Bäcker einfach nicht so gebacken. Ach, Bayern, Brezenland, du Kohlenhydratversuchung, Land des Hopfens und der Hefe, der Knödel und des süßen Senfs. Der Bayer ist an sich fest – nicht zu verwechseln mit feist, denn das sind die beiden Abstufungen, die der Bayer hat, um nicht-schlanke Menschen zu bezeichnen – doch die Münchnerin ist die eitelste, schönste und optimierteste Frau Deutschlands. Das mag am Föhn liegen oder an der guten Alpenluft, oder am Leitungswasser, das man abfüllen und teuer verkaufen könnte. Das mag auch am Geld liegen, das für Schönheit zur Verfügung steht.
»Des stimmt schon«, sagte Sophie, als ich ihr meine Beobachtung mitteilte. Sie hatte meine Reise nach München zum Anlass genommen, wieder einmal ihre Heimatstadt zu besuchen, und ihre Aussprache färbte sich schon nach ein paar Minuten weiß-bläulich. Sophie wollte aber auch den Workshop besuchen, als Inspiration für ihre Doktorarbeit. Wir schwiegen und brüteten über unsere bevorstehende Recherche, während draußen das ertragreiche bayerische Land an uns vorbeizog. Doch irgendwann sah ich im Widerschein des S-Bahn-Fensters, dass Sophie meine Breze anstarrte.
»Magst du ein Stück?«, bot ich ihr an.
»Breze?!«
»Sophie, ich möchte dich etwas fragen.«
»Ja?«
»Wann hast du zum letzten Mal eine Breze gegessen?«
»Ich glaube, so vor zehn Jahren. Aber das war nur, weil ich bei meinen Eltern war, Magenschmerzen hatte und sie keinen Zwieback …«
»Was meinst du – ist das normal?« Ich lehnte mich hier weit aus dem Fenster, doch Sophie nahm mir das nicht übel, sondern antwortete geradeheraus: »Natürlich nicht. Du weißt doch, dass ich einen leichten Schatten habe, was Essen angeht.«
Sophie hatte recht: Sie hatte einen Schatten, und er war wirklich nur leicht, denn wäre es ein schwerer Schatten gewesen, hätte sie gar nicht mehr zugeben können, dass ihr Essverhalten nicht normal war. Und weil sie gerade so ehrlich war, stellte ich ihr jetzt die Frage, die ich ihr schon so lange stellen wollte: »Wieso hast du eigentlich gerade das Thema Essstörungen für deine Doktorarbeit gewählt?«
Sophie sah mich erstaunt an und antwortete ruhig: »Du meinst, weil ich selbst ganz knapp dran vorbeischramme? Ja, die Ironie ist mir auch nicht entgangen, aber es war keine bewusst kontroverse Entscheidung. Ich wollte eher Essstörungen in einem Kontext erforschen, der nicht modern ist, also ohne die ganze Chose von Magermodels und Magazinen, die dafür verantwortlich gemacht werden, denn: Essstörungen gibt es schon seit dem 17. Jahrhundert.«
»Echt, so lange? Also dass Sissi mit ihren 45 Kilo und ihrer 50-Zenti-
meter-Taille eine Essstörung hatte, das wusste ich …«
»Sissi hatte nicht nur eine Essstörung, sie war auch sportsüchtig. Sie ließ sich auch ab ihrem 31. Lebensjahr nur mit Fächer fotografieren. Würde sie heute leben, wäre sie ein totales Botox-Opfer«, sagte Sophie.
»Wahrscheinlich.«
»Ganz sicher. Jedenfalls schien mir der Aspekt interessant, dass Diäten und Körperkult und Schönheitswahn kein neumodisches Zeug sind, von wegen dieser Früher-waren-die-Leute-froh wenn-sie-überhaupt-was-zu-essen-hatten-Verallgemeinerung. Und natürlich interessierte mich, wie das in der Literatur dargestellt wird, wo es versteckt ist und welche Symbolik dahintersteckt.«
»Und wie läuft es?«
»Schlecht.«
»Warum eigentlich?«
»Weil es so viel ist. Weil es mich überfordert. Nicht das Thema an sich, sondern der Berg an Arbeit, die Menge an Information, die
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