Yoga Bitch
Gliederung meiner Recherchen. Ich komme nicht dazu, einen Gedanken festzuhalten.«
Das Festhalten von Gedanken. Ich wollte ihr natürlich Yoga empfehlen, aber ich hielt mich zurück.
Sophie schlug wieder das Buch auf, das sie schon im Flugzeug versucht hatte zu lesen. Es hieß Bodies – Schlachtfelder der Schönheit von Susie Orbach, einer berühmten britischen Feministin und Psychotherapeutin, deren Spezialgebiet Essstörungen waren und die Prinzessin Diana wegen ihrer Bulimie behandelt hatte.
»Was steht denn da drin?«, fragte ich, vor allem, weil ich mich weiterhin mit Sophie unterhalten wollte.
»Ach, es geht um Schönheitswahn und Essstörungen und die Gesellschaft, die sich vom Körper entfremdet hat. Die Autorin schreibt, dass der Körper als Problem gesehen wird und dass man ihn heute zu perfektionieren sucht, solange er nicht ›richtig‹ ist, also nicht den medialen Standards entspricht. Hier, guck mal: Der Maßstab ist die von Kopf bis Fuß renovierte Frau.«
»Aber man muss doch seinen Körper nicht als Problem sehen, nur weil man ihn besser machen will«, sagte ich.
»Sag das ihr«, erwiderte Sophie. »Sie sagt, dass der Körper der neue Feind sei. Wir kämpfen gegen ihn, und unsere Kultur hat sich einer hysterischen Körper-Obsession verschrieben. Wir leben in einer Zeit von Körperhass.«
»Findest du, dass sie recht hat?«
»Ich weiß nicht. Ich muss es erst mal zu Ende lesen, aber ich kann keine Theorien ertragen, die alles schwarzmalen und mit dem Finger zeigen.«
»Wem gibt sie denn die Schuld?«
»Na, der Schönheitsindustrie. Und der Pharmaindustrie und der Diätindustrie. Denn je unrichtiger wir unsere Körper empfinden und je mehr Körperfetischismus es gibt, desto mehr Gewinn fahren die ein.«
»Hm.«
Ich wedelte mit dem letzten Stück Butterbreze vor Sophies Nase.
»Komm, nimm das Stück. Wir sind in Bayern!«
Und sie nahm es, aß es, lächelte und sagte eine Weile nichts, aber dann: »Weißt du eigentlich, was pretzling auf Englisch heißt?«
» Pretzling? So wie brezeln?«
»Genau. Das heißt verbiegen, so im Yoga-Sinne, wie du es machst.«
Da fiel mir plötzlich ein, wie man die Liebesaffäre zwischen dem großen Y und mir wieder aufwärmen könnte: Ich müsste einfach mal eine Yoga-Stunde in München machen. Ein neues Studio, eine andere Umgebung, ein frischer Start, des könnt’ klappen! So mach ma das, dachte ich mir, und dann schaumamal.
*
Wer aus Berlin direkt auf die Maximilianstraße kommt, möchte fast den Bürgersteig ablecken. Wie immer entzückten mich die leuch-tenden Schaufenster und die Menschen, die davorstanden und nicht zweimal mit der Wimper zuckten, bevor sie 600 Euro für ein paar Stiefeletten ausgaben. Hier nahmen die Menschen ihr Aussehen ernst und Schönheit sprichwörtlich. Es war nicht Berlin-interessant oder -schmuddelig. Nein, man wollte glänzen und gut aussehen, und zwar nicht erst auf den zweiten Blick. Hier musste sich auch niemand schämen, wenn er oder sie etwas dafür tat.
Ich traf mich mit meiner Freundin Mina zum Kaffeetrinken und Münchnerglotzen. Mina arbeitete in der Redaktion einer Frauenzeitschrift. Ich fragte sie, wo sie Yoga machte. Wohlgemerkt: Nicht ob, sondern wo.
»Du, ich mach’ momentan gar nix, denn ich hab’ mir beim Surfen das Knie gebrochen.«
»Wow. Ich beneide dich«, sagte ich und merkte, dass das laut ausgesprochen falsch rüberkam.
»Spinnst du jetzt?«, wedelte Mina mit ihren helljadegrün lackierten Fingernägeln vor ihrer Stirn.
»Nein, im Ernst. Ich hätte so gerne das, was du hast.«
»Ein gebrochenes Knie?«
»Nein, diesen angeborenen Instinkt, Sport zu treiben. Und zwar keinen neumodischen Schnickschnack, sondern so einen echten Sport wie Skifahren und Surfen. Ich meine, Surfen und sich dabei das Knie zu brechen, das ist ehrlicher Sport.«
»Ach Schmarrn. Ich mach doch auch zweimal die Woche Beine-Bauch-Po, ganz prähistorisch in einer alten Turnhalle, weil ich den Schicki-Micki-Pilates-Yoga-Schmarrn in München nicht aushalte. Außerdem jogge ich an der Isar, aber ich überlege jetzt damit aufzuhören, weil Joggen ganz schlecht für Cellulite sein soll. Ich komme höchstens ein paarmal im Jahr zum Skifahren und einmal im Jahr zum Surfen.«
»Aber du musst dich zu nix zwingen.«
»Klar muss ich. Ich lese gerade Haruki Murakamis Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede . Er läuft seit Jahren Marathon und schreibt: ›Man muss dem Körper unmissverständlich klarmachen, dass die ganze
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