Yoga Bitch
Sanskrit posten, und andere kommentieren es dann mit noch mehr Sanskrit, und man versteht nur Pranakrishnashanti?«, fragte Alev.
»Nein, so wird sie nicht«, sagte ich. »Aber ich weiß, welche Mädchen du meinst. Die nerven echt.«
»Ja, vor allem weil sie so weise und demütig und grundgut tun, aber eigentlich schließen sie andere aus. Das ist wie so ein blöder Verein«, ergänzte Alev.
»Polly wird das schon machen«, sagte Sophie ruhig und versönlich.
Wir waren alle Flughafen-melancholisch und in dieser komischen Zwischen-den-Jahren-Stimmung, also fuhren wir zu mir nach Hause, um uns alte Schnulzen anzusehen und Grog zu trinken. Als wir ankamen, stand der Teleshopping-Lieferant mit meinem Laufband vor der Tür. Das hatte ich ja ganz vergessen!
»Wo solls’n hin?«, fragte der Lieferant.
»Na so, dass man die Glotze gut sehen kann. Oder?«, meinte Alev.
»Janz jenau«, sagte ich.
Wir legten Musik auf und turnten und tanzten auf dem Gerät rum, bis wir nicht mehr konnten. Das wurde mit jedem Grog lustiger. Sophie konnte darauf sogar den Moonwalk machen. Das Ding war der Hit!
Am nächsten Morgen wachte ich mit einem etwas schweren Schädel auf und holte zum ersten Mal in meinem Leben, ohne groß darüber nachzudenken, meine Yoga-Matte und rollte sie auf dem Wohnzimmerboden aus. Ich fing an, Yoga zu machen. Zu Hause. Ganz allein. Ich machte nur Asanas, auf die ich Lust hatte und an die ich mich richtig erinnern konnte, doch es reichte, um mich auf die Yoga-Wolke zu befördern.
Danach erwartete mich Pollys erste Mail aus LA.
Oh Mann, ist das schön. Angie, Rosas Freundin, ist supernett und hat eine süße Tochter, die ist 7, sowie ein russisches Au-pair-Mädchen. Das Haus ist riesig und ich fühle mich schon zu Hause. Heute morgen bin ich ganz früh aufgestanden und es war so eine schöne, warme, goldene Smogglocke über der Stadt. Jetzt gehe ich in einen koreanischen Nail-Salon. Du weißt ja, für einen Mani-Pedi-Junkie wie mich ist diese 24-Stunden-Walk-in-Mentalität perfekt. Wahrscheinlich wird mich das bald langweilen, doch es fasziniert mich jedes Mal, wenn ich in die Staaten komme. Zehen und Nägel werden Pazifikblau, juhuuuu! Dann gehe ich zu Tacobell’s – wat mutt, dat mutt – und dann gehe ich mir ein Auto kaufen. Irgendeine 80er-Karre, am besten in Metallicbraun.
Vermiss dich!
Polly
PS: Es gibt einen Pool hier! Bilder im Anhang …
Ich dachte fernwehmütig an das goldene Licht, die hoch gewachsenen Palmen, das stundenlange Herumfahren, die Surfer, die Nail-Salons: Auch ich liebte LA. Ach, Polly.
Dann kam der letzte Tag des Jahres, und im Zuge meiner neu gestarteten Selbsterhalt-Strategie wollte ich das neue Jahr ruhig und ohne Kater beginnen. Also ließ ich mich nicht vom Silvester-Terror und den Optionen, die man sich so lange offenhält, bis es zu spät ist, knechten, sondern verbrachte den Abend ganz unspektakulär mit Sophie bei mir. Es war ein stiller Abschied eines aufregenden Jahres. Während es draußen knallte und brannte, gossen wir Blei. Mein Wurf ergab, etwas verzogen und doch eindeutig, das Om-Symbol.
Es war das Jahr der Yoga Bitch.
16
»Heirate doch einen Archäologen!
Je älter du wirst, umso
interessanter findet er dich.«
Agatha Christie
Mit zunehmendem Alter konnte ich immer mehr auf eine gesteigerte Januar-Unverträglichkeit vertrauen. Wenigstens war ich in diesem Jahr darauf vorbereitet und wollte alles tun, um schlechte Laune von Anfang an zu vermeiden. Die Januar-Unverträglichkeit manifestiert sich durch gedrückte Stimmung, Energielosigkeit und Antriebsschwäche und wird begleitet von Heißhunger auf kohlenhydratreiche Lebensmittel. Sie hat sogar einen wissenschaftlichen Namen: das bezeichnende Akronym SAD (Seasonal Affective Disorder, saisonabhängige Depression), auf gut Deutsch auch Winter-
depression genannt, an der ungefähr 10 Prozent der deutschen Bevölkerung, überwiegend Frauen, leiden. Sie erreicht ihren Höhepunkt im Januar und, wenn sie sich hinzieht, wie sie es meistens tut, auch im Februar. Schuld ist der Lichtmangel.
Ich bin überzeugt, dass sich viele Menschen im Januar nicht nur wegen der guten Vorsätze in einem Fitnessstudio anmelden, sondern auch, weil sie versuchen, gegen die Winterdepression anzusporteln. Bis zu 300.000 Neuanmeldungen pro Jahr gibt es bundesweit im Januar, und Hersteller von Schlankheitspillen melden eine Umsatzsteigerung von bis zu 40 Prozent. Ein Konflikt der guten Vorsätze scheint allerdings unvermeidbar: 60
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