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Yolo

Yolo

Titel: Yolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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Angestellten, die Geräusche des Lifts – und spannend wird es beim gongartigen Ton, wenn sich der Haupteingang öffnet und jemand hereinkommt. Mit Koffer die Patienten, die ohne sind eher Besucher. Wobei diese ähnlich verunsichert wirken wie die Kranken. Sichtlich ratlos wirkt jene Frau, die schon eine ganze Weile breitbeinig vor der Info-Tafel steht; aufgrund ihrer Ausmaße wirkt sie von hinten wie eine böse Karikatur. Unter ihrem Gewicht würde meine neue Corbusier-Liege glatt zusammenbrechen. Meine Liege. Von Vaters kleinem Vermögen habe ich mir dieses Luxusstück gekauft. Knallrot. Eigentlich hat ja Chris die Liege besorgt, ich selbst war nicht mehr fähig, irgendeinen Entschluss umzusetzen. Etwas Pep würde meiner tristen Wohnung gut tun, fand er. Über die Wohnung zu reden fiel ihm leichter, als über mich zu reden.
    Doch, meine Heimkehr am Wochenende ist nötig. Christian soll sehen, dass es mir besser geht, fast schon gut, befreit von der unerträglichen Schuldenlast. Und er soll wissen, dass mir vieles, was ich ihm gesagt, manchmal grob gesagt habe, Leid tut. Wir werden einen Champagner öffnen und auf meine Rückkehr an die Schule anstoßen …
    Ich stelle mir die glückliche Champagnerszene vor, aber schon wird das Bild von Fragen verdrängt: Kann ein gemeinsames Wochenende etwas an meiner Zwiespältigkeit ändern? Werden meine Zweifel an unserer Liebe verfliegen?
    Statt nach Antworten zu suchen, denke ich mich in den Konjunktiv. Allein schon dessen Wortklang kann einer Deutschlehrerin Flügel verleihen – lange habe ich mir dieses Spielchen nicht mehr gegönnt. Dabei ist es leicht, sich vom Grau ins Rosa zu lenken:
    Wir führen also aufs Land, Chris und ich, spazierten durch den Wald, an einer sonnigen Lichtung äßen wir unser Picknick, wir liebten uns, er dränge mich, bestünde auf Ehrlichkeit, bekniete mich, bei ihm zu bleiben, schwörte mir ewige Liebe und wünschte sich ein gemeinsames Kind …
    Wir liebten uns
.
    Diese drei Worte liegen so quer in meinem Märchen, dass sie seinen glücklichen Ausgang stören: Sie klingen nicht die Möglichkeitsform an, sondern nur als Vergangenheit in mir nach.
    Tanja unterbricht mich im Therapieraum bei meinen Schulterübungen: »Musst du noch immer diese langweiligen Übungen machen?«
    »Und du, welche musst du heute machen?«
    »Ich mache gar nichts mehr. Sonst wäre ich ja nicht so angezogen.«
    Sie zeigt auf ihr geblümtes Sommerkleid. Ihr Blick bleibt an den Schuhen haften: »Wie ich diese Gesundheitssandalen hasse! – Eigentlich habe ich dich fragen wollen, ob du nachher noch zu einem Tee auf die Terrasse kommst.« Mit kindlichem Trotz ergänzt sie: »Mir ist es verleidet, ich habe genug von allem. Mein Gott, wenn Luc mich sieht! Ich mache keinerlei Fortschritte, im Gegenteil, ich hinke von Tag zu Tag mehr, da muss man ja depressiv werden.«
    »In einer halben Stunde?«
    »Gut, dann warte ich oben auf dich.«
    Die letzten Sonnenstrahlen, viele Gäste und ein Boccalino Merlot geben mir auf der Terrasse ein wenig Feriengefühl. Ganz anderer Stimmung ist Tanja. Traurig und müde wirkt sie. Während sie in ihrer Teetasse rührt und sich dabei vorbeugt, fällt mein Blick in ihren Ausschnitt. Das tiefe Dekolleté gleicht bis hinunter zum schlaffen Brustansatz der geborstenen Erdkruste eines Dürregebiets. Eine ungeschminkte ältliche Frau sitzt in der Abendsonne, die demnächst untergeht.
    »Wenigstens bist du schon mal die Halskrause los!«
    Sie schlürft lustlos etwas Tee. Wir finden keinen Gesprächsstoff.
    »Weißt du nicht irgendetwas Lustiges?«, regt Tanja auf einmal an. »Oder halt etwas wahnsinnig Tragisches, das nützt bei mir auch.«
    Ich denke bei einem Schluck Wein nach, wie ich dieser seltsamen Aufforderung nachkommen könnte.
    Nun denn, wenn’s sein muss: »Eine Nachbarin von mir, keine vierzig, denke ich, ist seit einem Unfall querschnittsgelähmt. Nachdem sie sich mit dieser schrecklichen Tatsache einigermaßen abgefunden hatte, kam die Diagnose Brustkrebs.«
    »Du meine Güte!«
    Betroffen stellt Tanja ihre Teetasse hin, sie will Näheres wissen, was mir einige Fantasie abfordert. Es ist eine Ewigkeit her, dass ich über diese Tragödie in irgendeiner Zeitschrift gelesen habe. Eine ziemlich hilfreiche Geschichte, wie’s scheint. Unsere Unterhaltung nimmt den vorgegebenen Verlauf: »Ja«, sagt Tanja, »wenn man solches hört, ist das eigene Schicksal gar nicht mehr so schlimm.«
    Sie bestellt nun auch einen Boccalino Merlot, gerät

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