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Yolo

Yolo

Titel: Yolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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Ich habe meine Grenzen im Verlauf der Jahre unwillkürlich immer enger gesetzt. Aber das realisierst du erst, wenn du dich eingekerkert hast.
    Meine Gedanken wollen sich wieder ihren Weg ins Leid bahnen. Ich atme ein paar Mal tief durch: Ich bin nicht mehr schuldig und auch nicht mehr krank, und genau das soll Christian erfahren.
    Ungeduld treibt mich zum Telefon. Wenn er es wünscht, reise ich gleich zu ihm nach Kopenhagen, schlimmstenfalls mit dem Flugzeug. Für dich, Chris, überwinde ich sogar meine Flugangst!
    Kaum habe ich die Nummer gewählt, höre ich seine Stimme: »Zita, Liebes, wie geht es dir?«
    »Schon viel, viel besser, eigentlich gut. Wo bist du, störe ich dich?«
    »Überhaupt nicht. Ich bin im Büro und plage mich mit der Post herum, die noch vor dem Wochenende zu erledigen ist.«
    »Du bist nicht in Kopenhagen?«
    »Nein, das hat sich von selbst erledigt.«
    »Kommst du mich morgen oder übermorgen besuchen?«
    »Ich dachte, du möchtest lieber etwas alleine sein?«
    »Schon, aber …«
    »Och, wie schade. Hättest du mir das doch früher gesagt! Nun habe ich mich mit einem Kollegen verabredet.«
    »Mit Kuno?«
    »Nein, den kennst du nicht, er ist neu im Klub.«
    »Im Handballklub?«
    »Ja, genau.«
    »Also dann. Tschüss.«
    »He, he, Zita, nicht so schnell. Sag mir noch, wie geht es dir?«
    »Das habe ich doch schon gesagt. Gut. Ganz ausgezeichnet geht es mir.«
    Keine Stunde später sitze ich mit einem Ticket
Genua einfach
im Zug.
    Dummerweise erreiche ich Jutta nicht. Auch nach der Landesgrenze nur ihr Anrufbeantworter:
Hier ist die Jutta, sag, was du zu sagen hast, hoffentlich Positives!
    Zusehends nervt mich, dass ich sie nicht sprechen kann: »Jutta, hier Felizitas, bitte melde dich endlich!«
    »Der Zug fährt nicht mehr weiter«, bemerkt die ältere Signora, als sie mein Abteil verlässt, »siamo a Milano.«
    Verdutzt schaue ich vom Handy auf, oh schon in Mailand! »Mille grazie, Signora.«
    Die Stazione Centrale ist ein Tohuwabohu. Ein Gewirr von Menschen, Gepäck, Plakatträgern, Gekreisch einer Schulklasse, Rollwagen, Schirmverkäufer, der stechende Schall der Lautsprecher. Gedankenverloren lasse ich mich in dieser Aufgeregtheit mittreiben.
    Nun steht die Gestrandete vor der mächtigen Anzeigetafel. Ziellos. Alleine.
    Ohne Jutta hat Genua keinen Sinn.
    Eigentlich macht hier gar nichts einen Sinn.
    Es sei denn, ich würde nach dem ersten gleich einen zweiten Schritt wagen?
    Das Wort
wagen
fasziniert mich.
Frivol, bedenkenlos, kühn, leichtfertig
– Synonyme fallen mir wie verbotene Paradiesäpfel nur so zu! Insbesondere die
Leichtfertigkeit
tanzt aus der Versenkung …
    Die Vernunft jedoch will mich zurück in die Klinik treiben: Dort wird Moeller deine verfrühte Rückkehr schätzen, DeLauro und die beiden anderen am Tisch müssen dich nicht länger vermissen, in acht Tagen schließt du die Kur ab, kehrst heim, wirst Christians Lügen nicht glauben, aber tolerieren, Toleranz ist die Basis der Liebe. Wer liebt dich sonst, wenn nicht Chris? In welchem Freundeskreis bist du besser aufgehoben als in deinem? Die Kollegen mögen dich doch, wie schön, Zita, dass du wieder zurück bist, gut siehst du aus!
    An der Anzeigetafel leuchtet
Firenze
heller als alle anderen Orte. Geradezu grell.
Binario tre
, Abfahrt in zwei Minuten. Ja eben, sage ich zur Vernunft, das würde eh nicht mehr reichen …
    Wäre der Bahnsteig nicht gleich – da vorne! Wenn ich laufe, schaffe ich es noch.
    »Sie sind im falschen Zug«, sagt der Schaffner bei der Billettkontrolle, »der hier fährt nicht nach Genua.«
    »Ja, ich weiß, ich habe meine Pläne geändert.«
    »Wohin soll’s denn gehen?«
    »A Firenze!«
    »Nun, dann haben Sie gut entschieden. Allerdings kann ich Ihnen il biglietto per Genova nicht anrechnen.«
    Ihm tut das mehr leid als mir. Ich hätte auch das Doppelte bezahlt. Während er mir die Fahrkarte aushändigt, blickt er kurz zu dem Mann, der auf dem Fensterplatz mir gegenüber sitzt: »Passen Sie mir gut auf diese bella Signorina auf!«
    In Italien ist
Fräulein
ein Kompliment.
    Ja, diesen Mann würde ich als meinen Aufpasser akzeptieren. Ich mag sein Äußeres: Leicht zerzaustes Haar, Rollkragenpulli, Jeans, dazu Sakko; Gürtel und Schuhe mit Bedacht gewählt. So um die vierzig. Ein Geschäftsmann? Eher nicht, womöglich ist er ein bisschen solider, als er sich gibt. Ein Intellektueller, Jedermanns Lektüre ist
L’Espresso
nicht, und die Aktentasche am Boden könnte das Geschenk einer

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