Yolo
ich.
»Warum seid ihr denn nicht zusammen geblieben?«
»Ich war zu jung, einfach zu jung.«
»Und wie viele Jahre ist das Ganze her?«
»Siebzehn.«
»Nun, dann kannst du dir diesen Alessandro abschminken.«
»Es heißt doch, alte Liebe rostet nicht.«
»Unsinn! Alte Liebe rostet, glaube mir, Kitsch glänzt nicht ewig.«
»Hör schon auf, du hast von Liebe ja keine Ahnung.«
»Mag sein. Aber die Realität ist mir näher als dir. Schau, wir ändern uns doch mit jedem Tag. Auch kleinste Erfahrungen verändern uns, täglich öffnen sich neue Möglichkeiten, du kannst sie ergreifen oder verweigern, beides prägt dich; was du gestern dachtest, muss heute keine Gültigkeit mehr haben und …«
»Achtung, Jutta, nächste Ausfahrt rechts weg!«
Kaum abgebogen, fährt sie fort: »Vielleicht ist dein rassiger Professor inzwischen ein verbitterter Rentner geworden?« Dazu macht sie entsprechende Faxen und lacht. »Dein Alessandro geht inzwischen doch auf die sechzig zu, oder?»
Ich gebe ihr keine Antwort.
»Glaube mir«, wiederholt sie, »das Leben verändert uns wirklich stark.«
»Äußerlich meinetwegen. Aber in unserem Grundmuster ändern wir uns nicht.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Du willst doch nicht im Ernst dort anknüpfen wollen, wo du mit zwanzig, fünfundzwanzig warst?«
»Sicher nicht. Schließlich bin ich ja auch nicht auf dem Weg nach Florenz, sondern zu Christian.«
Endlich gelingt es mir, das Gespräch erneut in Richtung des Genuesen zu lenken. Bald hat Juttas Stimme wieder die sorglose Heiterkeit des Augenblicks, und dieser Supermann bleibt das Thema, bis ich sie durch die Vorstadt zu meiner Adresse geleitet habe.
Bevor wir uns vor meiner Wohnung verabschieden, muss sie mir versprechen, am Sonntagnachmittag zurück zu sein. Mit allen drei Schwurfingern tut sie das. »Bis übermorgen«, ruft sie durch das offene Wagenfenster, »und dann fahren wir zusammen zurück ins Lazarett!«
Meine Wohnung ist größer und heller als in meiner Erinnerung. Mein Blick fällt auf die rote Liege. Wie konnte ich in diesen gemütlichen Räumen bloß krank werden?
Ich ziehe mir ein Kleid an, das Christian besonders mag, mache mir einen Pferdeschwanz, lasse das Haar dann aber doch offen, schminke mich etwas stärker – ich kann es kaum erwarten, ihn im Büro zu überraschen.
Die Überraschung misslingt gründlich.
»Der Chef hat sich bis Dienstag abgemeldet«, erklärt seine Sekretärin. Sie staunt hartnäckig, dass ich das nicht weiß.
»Ah ja«, sage ich, »er ist nach Kopenhagen.«
»Ja, ja, Kopenhagen.«
Mit ihrem provokativen Grinsen erreicht sie, dass ich ohne Gruß kehrtmache.
Zu Christians Wohnung sind es nur wenige Minuten. Obwohl ich einen Schlüssel zu seiner Wohnung habe, warte ich nach dem Klingeln wie eine Fremde vor der Tür. Drinnen rührt sich nichts. Selbstverständlich nicht, weil er in Kopenhagen ist.
Wenn er in Kopenhagen ist.
Die Wohnung ist aufgeräumt, einzig die blühende Rose fehlt auf Chris’ Pult. Die letzte, die ich ihm vor meiner Abreise hingestellt habe, steht vertrocknet in der leeren Vase. Ohne frische Rose bin ich selten hierhergekommen. Ein Mechanismus quasi, schon fast eine Pflicht. Pflichtbeweis meiner Liebe? Ich betrachte die welke Blume und denke über den Sinn dieser kleinen Tradition nach, über die vielen Widersprüche. Auch meinem Vater habe ich oft eine Rose mitgebracht. Als er im Sterben lag, las ich ihm Rilke vor, Heiteres sagte ihm nicht mehr zu. Den
Panther
wollte er so oft hören, dass ich ihn bald auswendig zitierte. Es war das letzte Gedicht, das er bei klarem Verstand hörte. Vielleicht war er auch schon eingeschlafen. Als ich ihm eine Träne aus dem Augenwinkel tupfte, bildete ich mir ein, ein Lächeln husche über sein Gesicht.
Christians Putzhilfe muss da gewesen sein – hartnäckig platziert sie die Couch und die Sessel falsch.
Ob es möglich wäre, ständig hier zu wohnen? Seriös diskutiert haben wir das nie. Ohne bindenden Entwurf in die Tage hinein zu leben, hat seinen Reiz. Liebe unterm Ehejoch kann nie die Qualität des freiwilligen Zusammenseins erreichen, »das habe ich am eigenen Leib erfahren«, pflegte Christian zu scherzen. Ich wiederum nahm im Kreise Verheirateter gerne bei Reinhard Mey Zuflucht: »Bei uns muss die Freiheit auch unter den Wolken grenzenlos sein.« Erst in den vergangenen Monaten habe ich gemerkt, dass die Freiheit ein leerer Begriff bleibt, wenn du aus Feigheit nichts aus ihr machst. Feigheit und Faulheit.
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