Yolo
diesem makabren Gespräch aufhören. Schau, da vorne das Schild, in fünf Kilometern kommt eine Raststätte. Dort könnten wir frühstücken, magst du? Das bringt uns auf andere Gedanken.«
Jutta beginnt, während sie mir ihr Croissant auf den Teller legt, aus ihrem Leben zu erzählen. Nesthäkchen in einer Arztfamilie, zwei ältere Schwestern, beide verheiratet, »an Weihnacht alle zusammen und so, bis ich …«
»Bis du krank geworden bist.«
»Nein, nein. Krank bin ich erst letzten Herbst geworden, ein Geschenk zum dreißigsten Geburtstag, wenn du so willst. Das Familienidyll habe ich schon vor ein paar Jahren ohne eigentlichen Grund oder, sagen wir, aus tausend Gründen verlassen. War ja doch alles nur Fassade. Ein Hausdrache von Mutter, der Vater frustriert – ich habe diesen kleinbürgerlichen Mief einfach satt gehabt. Eines Tages habe ich das Studium geschmissen, mein Erspartes zusammengekratzt und bin abgehauen.«
»Heimlich?«
»Ja, so war es geplant. Die Eltern haben es allerdings gemerkt und sind mir insofern zuvorgekommen, als sie mich, weil ich nicht mehr studieren wollte, rausgeworfen haben.«
»Und wohin bist du dann?«
»Zuerst nach Paris, aber dort bin ich fast unter die Räder geraten. Danach habe ich mich auf verschiedenen Mittelmeerinseln mit Gelegenheitsjobs durchgebracht. Komisch war’s als Barmaid, eine interessante Erfahrung, kann ich dir sagen! Da sitzen die Männer zwar alle vor dir, aber eigentlich liegen sie dir zu Füßen; du bist begehrt, arbeitest wenig und verdienst viel. Doch, dort bin ich happy gewesen! – Am meisten vermisse ich das Rauschen des Meeres.«
»Bitte, Jutta, iss wenigstens ein paar Bissen!«
Mir zuliebe würgt sie ein halbes Croissant hinunter. Von ihrer Familie erzählt sie ungern Näheres. Der Kontaktabbruch tut ihr sichtlich weh. Trotzdem: »Niemals werde ich zu Hause ankriechen, als Kranke schon gar nicht!«
»Dafür ist eine Familie doch da, sie kann dir beistehen und …«
»Sprichst du aus Erfahrung?«
Dass ich mich seit Vaters Tod heimatlos fühle, scheint Jutta buchstäblich zu beflügeln: »Könnten wir nicht zusammen Weihnachten feiern? Dann spielen wir eine Familie, und alles ist wie früher …«
»Ja, doch, eigentlich keine schlechte Idee. Du kommst zu mir, und dann schmücken wir einen Christbaum und wir bekochen Christian und machen …«
»… es im Bett zu dritt!«
»Nein, ich wollte sagen, wir machen den besten Champagner auf.«
»Ja, das auch.«
Mit Jutta zu lachen, fühlt sich an wie ein unverhofftes Geschenk.
»Nun«, und sie schmunzelt schon im Voraus, »nun wollen wir mal sehen, ob du überhaupt ehetauglich wärst, falls dich dein Holder heute Nacht mit einem Heiratsantrag überrascht: Welches sind die drei wichtigsten Dinge, die eine Frau einem Mann zu bieten hat?«
»Sicher sollte sie ihm intellektuell ebenbürtig sein. Dann …«
»Ach was. Den Intellekt sucht ein Mann bei einer Frau zuletzt! Ich zähle dir die drei Punkte jetzt auf: Erstens ist es für einen Mann wichtig, eine Frau zu haben, die kocht und putzt. Zweitens braucht er eine Frau, die viel Geld verdient. Drittens ist für ihn eine Frau wichtig, mit der er guten Sex hat.«
Jutta lässt sich nicht unterbrechen.
»Wart’s ab!«, sagt sie, »die Pointe kommt erst: Ganz wichtig ist nämlich, dass sich diese drei Frauen nie begegnen!«
»Also dir, Jutta, hätte ich solche Machowitze zuletzt zugetraut. – Apropos Männer, du bist deinem Traummann anscheinend auch noch nicht begegnet, du bist ja nicht weniger ledig als ich.«
»
Weniger
und
mehr
ledig. Wie originell! Sicher bin ich lediger als du, denn ich begegne dauernd nur Traummännern, und da wäre es doch schade, sich auf einen einzigen festzulegen. Nimm jenen Genuesen, von dem ich dir erzählt habe. Wenn ich ihn nicht finde, finde ich eben einen anderen, der mit mir ans Meer kommt.«
»Ans oder ins Meer?«
»Ans, ins – he, deine déformation professionelle wird allmählich penetrant. Gehst du deinem Christian damit nie auf die Nerven?«
»Entschuldige, es sollte lustig sein …«
»Wie hast du es denn mit Traummännern? Sagen wir: Bestnote zehn – wo würdest du deinen Christian einreihen?«
»Ach, komm, lassen wir das, Jutta. Brechen wir auf, du willst ja heute noch bis Genua!«
Jutta hält auf der Weiterfahrt am Thema fest.
Wir schweifen in meine Studentenzeit ab, enden bei Alessandro, und ich staune selbst, wie sehr ich von jener Zeit schwärme, sogar von einer
einzigartigen Liebe
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