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Yolo

Yolo

Titel: Yolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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kultivierten Freundin sein. Ich hätte ihm einen originellen Rucksack geschenkt. Umso mehr, als er jetzt sein Journal zur Seite legt und aus seiner Tasche nicht eine Akte, sondern einen Apfel zieht. Das überrascht mich dermaßen, dass ich wohl auffällig staune. Jedenfalls öffnet er die Ledertasche erneut – und reicht nun auch mir einen Apfel.
    Statt »grazie« sage ich »scusi.« Er zwinkert, als hätte er meine Gedanken erraten.
    Beide essen wir die Frucht bis zum Stiel auf. Ich reiche dem Fremden ein Papiertaschentuch.
    »Gentile. Grazie.«
    »Prego.«
    Darüber hinaus geht unsere Unterhaltung nicht.
    Die Frau, die in unserem Abteil gleich am Ausgang sitzt, bleibt in ihrer Welt versunken. Sie hat auf mein Eintreten nicht reagiert, starrt an die Rücklehne ihres Nachbarsitzes. Zwischendurch beleben nervöse Augenzuckungen die bleichgepuderte Maske.
    Piacenza.
    Parma.
    Modena.
    Ich hätte die Reihenfolge nicht mehr gewusst, zu lange habe ich diese Gegend gemieden: Christian ist kein Italienliebhaber. Er zieht die Länder vor, deren Sprache er spricht. Chris spricht nur englisch perfekt. Deutsch natürlich auch. Das ist es, was ich meinen Schülern einhämmere: Zumindest die Muttersprache müsst ihr à fond beherrschen!
    Bei Max riss mir deswegen der Geduldsfaden. Er war seit längerem darauf aus, mich aus der Ruhe zu bringen, weil meine Anspannung ihn wohl reizte. Während mein Vater im Sterben lag und nach seinem Tod, gelang ihm das mit Leichtigkeit. Zwischen dem Schüler und mir entwickelte sich eine richtige Antipathie. Aber ich konnte mich mit Max nicht beschäftigen, ich wollte mich um Sonja kümmern, deren Anhänglichkeit mich zunehmend berührte.
    An einem Dienstagmorgen kam es zur Eskalation. Max hatte den Italienischunterricht geschwänzt, und er wäre wohl auch nicht zur Deutschstunde erschienen, hätten wir uns nicht ausgerechnet vor dem Schulzimmer gekreuzt. »Bürschchen, mitkommen!« Diese ungeschickte Aufforderung sollte ich büßen. Während ich der Klasse die Aufsätze zurückgab, blieb Max, natürlich mit seiner legendären Mütze auf dem Kopf, demonstrativ auf dem hintersten Fenstersims sitzen. Meine Befehle, sich an sein Pult zu setzen, ignorierte er. Da platzte mir der Kragen: »In knapp einem Jahr solltet ihr reif für die Matura sein, aber hier drin gibt es Leute, die beherrschen die primitivsten Deutschregeln nicht, schreiben Vogel mit F und fliegen mit v!« Max setzte ein noch breiteres Grinsen auf und fragte mich in unschuldigem Ton, ob man denn wenigstens
vögeln
mit F schreiben dürfe.
    Das Gelächter der Klasse klang in mir nicht minder nach als das Gespött im Lehrerzimmer, wo unser Wortgefecht noch vor mir selbst angelangt war.
    Tags darauf begann meine erste Lektion mit jüngeren Schülern. Bei meinem Eintreten war die Klasse ungewohnt still. Ich spürte ein gewisses Unbehagen; irgendetwas schien mit dieser Klasse zu sein. Das Rätsel löste sich, als ich eine komplizierte italienische Wendung auf die Wandtafel schreiben wollte. Diese war bereits voll gekritzelt, und zwar über die ganze Breite hinweg:
Velizitas fögelt am liebsten fon forne

    Der mir gegenübersitzende Mann hat seinen Blick auf meine Hände geheftet. Ich realisiere, dass ich ständig den Fingerring drehe.
    »Sehnsucht?«
    »Nein, nein. Das ist kein Ehering.«
    Er trägt keinen Ring. Schöne Hände hast du, Fremder.
    Wir kommen ins Gespräch. Dies und das. Nicht gerade übers Wetter, aber wesentlich ist es nicht. Dann wieder sehen wir zum Fenster hinaus – wenn sich in den weiten Feldern der Poebene unsere Blicke begegnen, lächeln wir.
    Die Dritte in unserem Zugabteil, die Frau in der Ecke, steht auf, manipuliert kraftlos an der Türe herum. Schon ist der Herr neben ihr und schiebt sie für sie auf:
    »Ecco, Signora.«
    Mein sympathischer Aufpasser ist kein Geschäftsmann und auch kein vermögender Aussteiger. Er ist Musiker und beginnt in zwei Wochen mit seinem Orchester eine Tournee durch Europa …
    »Sie haben ein eigenes Orchester, sind Sie Dirigent?«
    »No, no«, er spiele nur die zweite Geige.
    »Das ist doch nicht
nur
«, erwidere ich. »Bitte, erzählen Sie mehr!«
    »Dunque«, er streckt seine Hand aus, »mi chiamo Michele, Michele Gerardi.«
    Nachdem auch ich mich vorgestellt habe; erzählt er mir von seinen Studien der Violine, Bratsche und des Cellos und erwähnt, an welche Orte ihn seine Tournee bald führen wird.
    Dann aber möchte er auch etwas von mir wissen.
    Ich erzähle ihm von meiner

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