You are Mine
ordnen und dabei nach verirrten Softpornos Ausschau zu halten.
Sarah seufzt mir ins Ohr. »Alex, geht es dir gut? Du klingst irgendwie nicht, als wärst du ganz auf der Höhe.«
Ich erkläre ihr, dass ich einfach müde bin, weil ich momentan nicht besonders gut schlafe, was zumindest ein Teil der Wahrheit ist. Ich habe es nicht geschafft, den Traum der letzten Nacht aus meinem Kopf zu verdrängen, zumindest die Teile, an die ich mich erinnere.
Ruth im Mondlicht. Eine Klinge in meiner Hand.
Ich bin so viel mehr.
Aber es war nur ein Traum, denn Ruth geht es gut. Sie saß zusammengesackt am Küchentisch, als ich zur Arbeit aufgebrochen bin, umgeben von Büchern und Fotokopien und Stapeln handgeschriebener Notizen, ihren Laptop vor sich aufgeklappt und einen panischen Blick in ihren Augen. Prüfungen , sagte sie. Ich habe weniger als drei Wochen Zeit, um mich an all das zu erinnern.
»Alex, wir haben dich seit Ewigkeiten nicht gesehen.« Sarahs Stimme klingt dünn, ungeduldig. Sie ähnelt Mums so sehr, dass es schon unheimlich ist. »Wir vermissen dich. Ich vermisse dich.«
Also verspreche ich meiner Schwester, dass ich mitkomme, und sie sagt mir, dass sie mir eine SMS mit dem Ort schreibt, wo wir hingehen, dann legen wir auf. Dreißig Sekunden später piept mein Handy und verkündet mir die Adresse irgendeines Restaurants in Camberwell. Es klingt französisch und nicht gerade billig. Wahrscheinlich hat Martin es ausgesucht und wir müssen ihm den ganzen Abend zuhören, während er über Rotweine und Gänseleberpastete doziert. Und schon frage ich mich, warum ich überhaupt Ja gesagt habe.
Ich finde einen Stift, blättere durch die neueste Ausgabe unseres kostenlosen Werbemagazins – voll mit wunderbaren Filmkritiken und dämlichen Gewinnspielen, ein Ergebnis unseres Zusammenschlusses mit einer großen Kette – und fange an, Miley Cyrus einen Schnurrbart zu malen. Warum ist keiner der Blackouts je in der Arbeit passiert? Wenn es je Zeit gab, die ich gerne an die Amnesie-Feen verlieren würde …
Ich bemale ein paar perfekt weiße, perfekt gerade Vorderzähne, als die Eingangstür bimmelt. Ich sehe auf und entdecke Joaquin. Er zögert, dann trudelt er zum Tresen und kratzt sich durch ein Loch in seinem Hemd am Ellbogen. »Alex, hey.«
Verdammte Marionetten, habe ich wirklich geglaubt, ich würde sie jemals loswerden?
»Was willst du, Joaquin?«
»Nichts«, antwortet er abwehrend. »Ich schaue nur vorbei, verklag mich doch.«
»Ich versuche hier zu arbeiten, okay?«
Joaquin sieht sich mit hochgezogenen Augenbrauen um. »Ja, Mann, das sehe ich absolut.«
Der Junge wirkt ziemlich mitgenommen, zittrig und reservierter als gewöhnlich. Ich seufze und lege den Stift zur Seite. »Okay, was ist los?«
Er spielt an seinem Ohrring herum, dann an den silbernen Ringen an seinen Händen, dann mit dem Aufsteller voller Schokoriegel vor sich.
»Ich vermisse sie«, sagt er schließlich. »Alles hat sich verändert, wir treffen uns nicht mehr, nicht seit der Beerdigung. Es ist, na ja, wie es früher war, weißt du, und das ist beschissen. Echt beschissen.« Bei den letzten Worten kippt seine Stimme, er schluckt schwer und fängt an, seinen Nagellack abzukratzen, sodass das Zeug wie glitzernde schwarze Schuppen auf den Teppich rieselt.
Und plötzlich sehe ich den Jungen als das, was er wirklich ist. Der Außenseiter, der Ausgestoßene, das seltsame Kind mit der komischen Kleidung und dem weibischen Auftreten. Der Schwule, der Irre. In der Schule hat er wahrscheinlich keine Freunde und auch anderswo nicht viele. Außerhalb des Internets zumindest. Madigan und die Marionetten müssen für ihn eine Art Rettung gewesen sein, ein Ort, an den er gehörte, ein Ort, an dem er wichtig war. Bis ihm das alles plötzlich genommen wurde. Und hier ist er nun, verwirrt und wieder allein, er versteckt sich hinter seiner Gothic-Kleidung und tut so, als wäre er zu cool für seine Altersgenossen, damit ihre Zurückweisung nicht so schmerzt.
Der arme Junge tut mir tatsächlich leid.
»Du siehst die Mar…« Ich schlucke das Wort gerade noch rechtzeitig herunter und versuche stattdessen, mich an die Namen derjenigen zu erinnern, denen er nahestand. »… die anderen nicht mehr? Leigh? Elisabeth?«
Joaquin schnaubt abfällig. »Leigh ist dem Football-Team beigetreten.«
Die drei Mädchen aus der Abteilung mit den Neuerscheinungen kommen mit ihren Filmen an den Tresen und reichen mir einen verknitterten Nachlass-Coupon, von dem ich
Weitere Kostenlose Bücher