You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
Besuch in Neverland. Ein Jahr lang musste Gavin ständig ins Krankenhaus. Er hatte meinen Bruder noch nie getroffen, doch er lernte seine Stimme bei den stundenlangen Telefonaten kennen. Wenn Michael versprach, anzurufen, konnte sich Gavin darauf felsenfest verlassen. Sie sprachen „ewig lang – also einige Stunden“, wie Gavins Mutter bemerkte. Gavin erzählte später, dass der Gedanke, Neverland zu besuchen, „mich immer glücklich machte. Michael hat mich zum Lachen gebracht.“ Den Besuch Neverlands vor Augen und eine aggressive Chemotherapie retteten ihn vor dem Abgrund und strafte die Prognose des Arztes Lügen. Wieder einmal die Macht der Gedanken: Überleben, um Neverland zu sehen.
Im August 2000 ging es Gavin so gut, dass er reisen konnte. Michaels persönliche Assistentin Evvy schickte eine Limousine, um ihn und seine Familie in ihrer beengten Wohnung im Osten von L.A. abzuholen und sie nach Santa Ynez zu fahren. Ich finde es traurig, dass ein ehemaliger Freund meines Bruders, der Rabbi Shmuley Boteach, behauptete, dass „Michaels Beschreibung des Jungen bei der Ankunft in Neverland als gehbehindert, sodass er von Michael getragen werden musste, völlig aus der Luft gegriffen ist“. Der Rabbi hatte offensichtlich überhaupt keine Vorstellung, wie dramatisch sich die Lage zu Beginn darstellte. Die Wahrheit zeigte sich dann 2005 vor Gericht, als man Filmaufnahmen von damals zeigte. Der Junge kam kahlköpfig in Neverland an, hatte keine Augenbrauen mehr und war so schwach, dass er sich nicht auf den Beinen halten konnte. Sein Bruder Star führte ihn über das Gelände zu all den Orten, die sich Gavin in seinem Krankenbett ausgemalt hatte. Michael ging mit ihnen und trug den Jungen. Seine Mutter Janet sagte aus: „Michael holte uns an der hintersten Linie ab und brachte uns ganz nach vorne. Er sagte: ‚Ihr bedeutet mir etwas. Vielleicht ist den meisten Leuten nichts an euch gelegen, doch mir bedeutete ihr viel.‘“
Gavin drückte sein Glück anders aus. Er schrieb in das Gästebuch: „Ich möchte dir danken, weil du mir den Mut gegeben hast, meine Mütze vor anderen Leuten abzunehmen. Ich liebe dich, Michael.“
Ich bezweifele stark, dass diese Geschichte in den Zeitungen abgedruckt wurde, denn sie hätten den Hintergrund für die kommenden Ereignisse angemessen dargestellt. Es war nicht Michaels humanitäres Verhalten, dass die Arvizo-Familie nach der Genesung von Gavin herausstellen wollte. Angeblich sollte Michael den Jungen belästigt und ihn gegen seinen Willen festgehalten haben. Jetzt war Michael also nicht mehr nur angeblich ein Mensch, der Kinder belästigte, sondern sogar ein Kidnapper! Der Bezirksstaatsanwalt von Santa Barbara, besagter Tom Sneddon, stürzte sich, wie nicht anders zu erwarten, auf den Fall. Er sollte später aussagen, dass mein Bruder seinen Promistatus benutzt habe, um den Jungen auf die Ranch einzuladen – was nach Sneddons Meinung in das Muster eines Pädophilen passte.
Doch Sneddon beschäftigte sich nicht mit Gavin, da dieser etwa bei der Polizei oder beim Jugendamt eine Anzeige gemacht hätte, weit gefehlt. Erst nachdem Michael für eine geplante TV-Dokumentation mit seinem genesenen Freund vor die Kamera trat, schrillten die Alarmglocken. Michael hatte der Welt nur seine Hilfsbereitschaft demonstrieren wollen. Nach dem Verlust von Ryan White vermochte er nun die Geschichte eines Überlebenden zu präsentieren, ein Beispiel dafür, was Liebe alles bewirken konnte. Die Doku trug den Titel Living With Michael Jackson und wurde vom Journalisten Martin Bashir produziert, der meinem Bruder acht Monate lang folgen durfte. Michael traute dem Briten und verließ sich auf seine Seriosität, da er schon Prinzessin Diana interviewt hatte. Bashir hatte damit das Michaels Vertrauen gewonnen.
Ich wusste von all dem nicht sehr viel – bis zum 6. Februar 2003, als die Dokumentation in den ganzen USA ausgestrahlt wurde. Ich sah sie mit zunehmender Verständnislosigkeit. Wahrscheinlich kommentierte ich die Doku nur mit einem Kopfschütteln: „Nein … nein … nein … Michael!“ Je häufiger ich die permanente Nachfrage Bashirs zu Michaels Aussagen hörte („Wirklich?“), desto lieber hätte ich den Bildschirm eintreten wollen.
Michaels wahrer Charakter wurde durch eine brutale Schnitttechnik völlig verzerrt wiedergegeben. Diese Dokumentation rief die Behörden auf den Plan, da sie jedes abgedrehte, durchgeknallte, merkwürdige und exzentrisch wirkende Klischee
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