You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)

mich an einen Besuch mit meinen Kindern. Prince und Paris hatten Flausen im Kopf und verhielten sich ungezogen. An dem Tag sprach Michael nicht mit seiner sanften, zurückhaltenden Stimme: „Ich schäme mich für euer Verhalten! Geht jetzt auf eure Zimmer“, meinte er bestimmt.
    Ihm lag besonders viel daran, sie Benehmen, Respekt und Sanftmut zu lehren. Wenn jemand den Raum betrat, bestand Michael darauf, dass sie ihn begrüßten: „Stellt euch mit eurem Namen vor … Wünscht einen guten Tag.“ Wenn ein Erwachsener das Zimmer betrat, ließ Michael keine Ausrede gelten – auch nicht, dass die beiden durch Spielzeug abgelenkt waren. Seine Direktheit war ein wichtiger Bestandteil der Kommunikation, die er als unabdingbar für die Erziehung eines Kindes empfand: Sag ihnen jeden Tag, dass du sie liebst. Drücke sie ganz fest, und sei bei ihnen, wenn sie einschlafen, damit sie darauf vertrauen können, dass du stets für sie da sein wirst. Und Michael war immer für seine Kinder da!

    Wie wussten schnell, wenn etwas im Argen lag. Unser Frühwarnsystem – das paradoxerweise immer zu spät anschlug – waren die „Augen des Himmels“, die Hubschrauber der Fernsehsender, die über Hayvenhurst schwebten. Wenn wir die Rotorblätter hörten, stellten wir das Fernsehen an, und in neun von zehn Fällen berichteten sie etwas über Michael. Wir telefonierten dann herum, taten uns zusammen und versicherten uns, dass Mutter Unterstützung hatte.
    Das geschah so häufig, dass wir für solche Anlässe schon einen Trainingsplan aufstellten konnten! Manchmal fragten wir uns, aus welcher Richtung denn wohl der nächste Seitenhieb kommen würde. Ähnlich ging man mit den kalifornischen Erdbeben um – man gewöhnt sich an das tägliche Risiko und akzeptiert, dass jede Stadt, in der man wohnt, zu jeder Zeit zerstört werden kann. Im Hinterkopf erwartet man unbewusst das „große Erbeben“ und hat sich schon mit der Überlebensausrüstung eingedeckt. Michael meinte immer, er werde auf einen Baum klettern und sich hinter den Ästen und Zweigen verstecken – obwohl ich nicht weiß, ob er das tatsächlich gemacht hat, als das Northridge-Erdbeben 1994 die Erde erschütterte. Dieses schreckliche Erlebnis wirkte sich besonders auf Joseph aus, denn er zog nach Vegas und siedelte damit auf sichererem Grund. Gott hatte seine Schwachstelle gefunden, denn Erdbeben jagten ihm eine panische Angst ein. Mutter weigerte sich, mit nach Nevada zu ziehen. Nach 35 Ehejahren entschieden sich die beiden deshalb, fortan getrennt zu leben und ihre Zeit in zwei getrennten Wohnungen zu verbringen. Damit fand jeder von ihnen zu einer späten Unabhängigkeit, mit der beide zufrieden sein konnten. Das Arrangement ist kein ungewöhnliches Phänomen bei Menschen ihrer Generation. Ihre Ehe hatte viel schwerwiegendere Probleme überstanden im Vergleich zu einer Fernbeziehung, und unsere Familie hatte mehr „Erdbeben“ überlebt als andere. Erdbeben, die einen Menschen bis ins Mark erschüttern und alles zerstören, was man sich aufgebaut hat. Erdbeben, die den Zusammenhalt verstärkten und nach denen man härter als jemals zuvor kämpfte. Egal wie schlimm die nächsten Erdstöße auch sein sollten – wir würden es überleben. Und es beginnt immer mit einer leichten Erschütterung, die man kaum wahrnimmt.

    Der Osten L.A.s zählt zu den einkommensschwachen Gegenden der Stadt mit vielen Problemen und sozialen Wohnungsbauprojekten. Hier ist das Terrain, auf dem sich die Gangs bewegen. In vielerlei Hinsicht erinnert mich das an die Atmosphäre und das Arbeitsethos in Gary. Gute Menschen. Ein hartes Leben. Michael sollte sein Herz einem der Bewohner schenken, dem zehnjährigen Gavin Arvizo. Der Kleine hatte multiple Krebserkrankungen und also eine Liste aufgestellt, welche Celebrities er noch gerne treffen würde, darunter den King of Pop. Jeder, der seine Bitte hörte – Krebs im fortgeschrittenen Stadium, er hatte eine Niere und die Milz verloren, erbrach Blut und schien kurz vor dem Tode zu stehen –, konnte sich nicht erwehren, etwas Gutes für ihn zu tun. Nachdem Chris Tucker, ein gemeinsamer Freund, Anrufe von Gavins Mutter, dem Comedian George Lopez und dem Basketballstar Kobe Bryant erhalten hatte, lenkte er Michaels Aufmerksamkeit auf den Jungen. Michael bot seine Hilfe an – typisch für ihn. Er nahm sich Zeit, um Gavin im Krankenhaus oder bei seiner Großmutter anzurufen – wo auch immer er sich auf der Welt aufhielt –, und versprach ihm einen