You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
sich den Anforderungen des Unterrichts weiter zu fügen, wo wir doch längst wussten, dass die Bühne einmal unsere Lebensgrundlage sein würde – was Joseph längst ganz genauso sah.
In der Schule war ich ohnehin oft traurig, weil wir da voneinander getrennt waren. Wir mussten in verschiedene Klassenzimmer, Jackie und Tito sogar auf ganz andere Schulen. Ohne meine Brüder in meiner Nähe fühlte ich mich angespannt und verletzlich. Und wenn ich Brüder sage, meine ich das auch im übertragenen Sinn – wir waren mehr als nur Geschwister, wir waren ein Team. Immer wieder guckte ich auf die Uhr und freute mich auf die Pause, wenn ich wieder mit Marlon und Michael zusammenkam. Die Lehrer hielten meine Niedergeschlagenheit fälschlicherweise für gutes Benehmen, und so wurde ich aus ganz verkehrten Gründen zum Liebling vieler Lehrer. Auch gehörte ich zu den Glücklichen, die sich nicht besonders anstrengen mussten, um einigermaßen gute Zensuren zu bekommen. Daher wurde ich oft ausgewählt, um Besorgungen zu erledigen, Sachen zu holen oder irgendwohin zu bringen.
Diese Botengänge nutzte ich oft, um an Michaels Klassenzimmer vorbeizugehen und mich davon zu überzeugen, dass bei ihm alles in Ordnung war. Vom Flur aus konnte ich durch die offene Tür sehen; vorsichtig stellte ich mich so hin, dass die Lehrerin mich nicht entdecken konnte. Michael war stets sehr konzentriert, entweder über sein Schulheft gebeugt, wenn er etwas schrieb, oder aber seine Blicke waren auf die Tafel gerichtet. Sein Banknachbar sah mich meist zuerst und gab ihm dann einen kleinen Stups. Michaels Augen glitten dann zwischen der Lehrerin und mir hin und her – er war stets bestrebt, nicht aufzufallen. Wenn sie sich umdrehte, traute er es sich, mir kurz zuzuwinken.
Mutter fand es seltsam, dass ich nach ihm sah, aber für mich war es völlig in Ordnung, dass ich mich als der Ältere gelegentlich überzeugte, wie es meinem kleinen Bruder ging. Damit tat ich meine Pflicht.
Michael machte sich auf der Schule besser als ich. Sein Wissensdurst übertraf den von uns anderen bei weitem. Er war ein neugieriges Kind, das stets „Warum? Warum? Warum?“ fragte, bei den Antworten genau zuhörte und sich jedes Detail einprägte. Ich bin überzeugt, dass sich in seinem Kopf ein Aufnahmechip für Daten, Fakten, Zahlen, Texte und Tanzschritte befand.
Morgens ging ich mit Michael noch in recht gemütlichem Schritt zur Schule, aber nachmittags rannte er nach Hause. Der Heimweg zeigte deutlich, wer von uns Brüdern mit wem am engsten verbunden war. Michael und Marlon liefen herum wie Batman und Robin. Auf der Straße oder auf der Aschenbahn forderte Michael Marlon ständig zu Wettrennen heraus, und jedes Mal hängte er ihn beim Sprint ab. Marlon hasste es, wenn er verlor … und er behauptete gern, Michael habe gemogelt. Dann fingen die beiden an, sich zu prügeln, und Jackie musste sie auseinanderbringen. Michael war jedes Mal wieder verblüfft, wieso die Dinge so aus dem Ruder liefen. „Ich habe ganz ehrlich gewonnen!“, erklärte er dann schmollend.
Ihre gemeinsame Energie war schlicht überwältigend, wenn sie durchs Haus liefen oder durch den Garten, wenn sie schrien, lachten, brüllten. Das Gespann Michael-Marlon machte Mutter oft verrückt, wenn sie beim Kochen war. Manchmal wirbelte sie herum, packte sie im Lauf an beiden Armen und drückte ihnen die Knöchel an die Schläfen.
„Aua!“
„Ihr müsst euch mal beruhigen, Jungs!“, rief sie dann.
Und das taten sie meist auch. Für vielleicht zwanzig Minuten. Dann standen sie schon wieder am Kinderzimmerfenster und spielten „Soldat“, indem sie zwei Besenstiele über das Fensterbrett legten und so taten, als ob sie auf Passanten schössen.
Tito und ich waren auch wie der Schatten des jeweils anderen, und Mutter zog uns auch gleich an, wobei unsere Kleidung später natürlich als Garderobe für die jüngeren Geschwister diente. Wir kommandierten Michael und Marlon gern herum und befahlen ihnen, Sachen für uns zu holen und dies oder das zu tun, aber Jackie ließen wir meist in Ruhe, weil er älter und leicht reizbar war, und Randy war sowieso der Kleinste, der erst noch dabei war, die Welt für sich zu entdecken.
Für Außenstehende war Michael derjenige, der am schwersten einzuschätzen war, denn er erwachte nur in zwei bestimmten Umgebungen wirklich zum Leben – in der geschützten Atmosphäre bei uns zu Hause und auf der Bühne. Wenn es um die Jackson 5 ging, gab er all seine Energie
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