You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
später, als ich ihr erklärte, dass mein neuer Schulweg gar nicht so übel sei; die Gang-Mitglieder waren wirklich freundlich und winkten, weil wir als Jackson 5 einigen Respekt genossen. „Diese Jungs sind nicht gut, Jermaine. Du hast gehört, was dein Vater gesagt hat – halte dich von ihnen fern.“ Also wurde der Weg zur Schule durch die Delaney-Siedlung mit ihren Wäscheleinen, den verstreut herumliegenden Spielsachen und ausgeweideten Autowracks ein Spießrutenlaufen mit gesenktem Kopf, bei dem wir versuchten, jeglichen Blickkontakt mit anderen zu vermeiden.
Aber dann rückten die Gangs und ihre Kämpfe immer weiter an unsere Straße heran. Von unserem Wohnzimmerfenster aus bekamen wir drei üble Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Banden mit. Als die Gangs sich näherten – eine kam die 23. Avenue herunter, die andere die Jackson Street –, schrie Mutter, wir sollten sofort alle ins Haus kommen und die Türen und Fenster schließen. Unsere fünf kleinen Köpfe sahen vermutlich aus wie Orgelpfeifen mit Afro, als wir aufgereiht am Fenster standen und das Geschehen zu beobachten versuchten.
Einmal liefen die Dinge völlig aus dem Ruder. Zwei Gangs hatten sich ausgerechnet an unserer Straßenecke zu einem Kampf verabredet, und in der Schule war schon viel über diesen Showdown geredet worden. An besagtem Tag wurden wir wieder im Haus eingeschlossen, und als wir lautes Geschrei hörten, wussten wir, dass die Kontrahenten ganz in der Nähe sein mussten. Und dann ertönte ein Knall, ein Schuss. Wir machten lange Hälse. „Runter! Alle runter!“, brüllte Joseph. Die ganze Familie warf sich auf den Boden. Rebbie, La Toya, Michael und Randy schrien und weinten, Joseph hatte die Wange auf den Teppich gepresst und die Augen weit aufgerissen. Es wurden wohl noch zwei weitere Schüsse abgefeuert, und wir blieben eine Viertelstunde regungslos liegen, bevor Joseph vorsichtig prüfte, ob die Luft rein war. „Versteht ihr jetzt, was ich euch immer gesagt habe?“, fragte er.
Diese Geschichte erklärt vielleicht die Inspiration zu Michaels Hit „Beat It“ von 1985 – und das Video, das damit beginnt, dass von zwei Seiten Gangs heranmarschieren, bis er in die Mitte springt und sie im Tanz vereint.
Oprah Winfrey fragte unseren Vater 2010, ob er es bedauere, wie er uns damals „behandelte“ – es hörte sich an, als habe er in Guantanamo Waterboarding praktiziert. So eine Frage lässt sich heute, in einer ganz anderen Zeit, leicht mit diesem verurteilenden Unterton stellen, aber hätte Oprah sich 1965 so geäußert, in einer schwarzen Community, die von Bandenkriegen erschüttert wurde, dann wäre sie es gewesen, die schief angesehen worden wäre, und nicht Joseph. Damals war es eben so. Joseph war ein harter Kerl, der mehr zum Manager taugte als zum Vater, mit einem stahlummantelten Herz, aber seine Entschlossenheit resultierte aus den besten Motiven. Der Einzige, der das je bedauerte, war Michael. Er hatte sich eher den Vater gewünscht, der jedoch vielfach durch Abwesenheit glänzte, als den stets präsenten Manager. Aber eine Sache lässt sich nicht bestreiten: Unser Vater hat neun Kinder in einem von Kriminalität, Drogenmissbrauch und Bandenkriegen geprägten Viertel großgezogen und sie zu erfolgreichen Künstlern gemacht, ohne dass eines von ihnen auf die schiefe Bahn geriet.
Bevor ich Recherchen für dieses Buch anstellte, hatte ich gar nicht richtig mitbekommen, wie viel Unsinn über Josephs Strenge geschrieben worden ist: Es hieß, er habe Michael einmal eine ungeladene Pistole an den Kopf gehalten, er habe ihn, obwohl er Angst hatte, in einem Wandschrank eingeschlossen, er sei ihm im Dunkeln, mit Küchenmessern bewaffnet, entgegengesprungen, weil er es angeblich liebte, seine Kinder zu erschrecken, er habe Michael brutal in einen Stapel Instrumente geschubst, und einmal habe Michael über La Toya hinwegsteigen müssen, als er sich die Zähne putzen sollte, weil sie von Joseph ausgeknockt auf dem Badezimmerfußboden lag. Es ist leider eine traurige Wahrheit, dass Geschichten über Prominente, wenn sie nicht offiziell bestritten oder gerichtlich verfolgt werden, von Außenstehenden immer weiter ausgeschmückt werden, bis aus einem Gerücht irgendwann ein Faktum geworden ist. Weil ich dafür eintrat, Josephs Verhalten im Kontext zu betrachten, warf man mir vor, mit seiner Haltung zu sympathisieren oder sie zu entschuldigen, aber ich war wirklich dabei und weiß die Sache einzuschätzen. Ich
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