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You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)

You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)

Titel: You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jermaine Jackson
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„sonst gibt’s Ärger.“
    „Nein!“
    „Ich sag ’ s dir nicht noch einmal.“
    „Nein – ich will nach draußen zum Spielen!“
    Michael begehrte schließlich gegen jede Form von Befehl auf, und er reizte seinen Spielraum viel weiter aus, als wir anderen uns das getraut hätten. Das führte natürlich unweigerlich dazu, dass auch er die Rute zu spüren bekam. Immer wieder stand er unter dem Baum, weinte und suchte möglichst langsam einen geeigneten Zweig aus, um noch ein wenig Zeit zu schinden. Die Rute war auch mir nicht fremd; ich erinnere mich, dass ich einmal geschlagen wurde, weil ich irgendeine Hausarbeit nicht erledigt hatte. Aber Marlon und Michael bekamen sie am meisten zu spüren. Der eine, weil er Fehler machte, und der andere, weil er nicht gehorchen wollte.
    Manchmal versuchte Mutter Joseph zu bremsen, weil er es ihrer Meinung nach mit den Strafen übertrieb. „Hör auf, Joseph, hör auf!“, flehte sie und versuchte ihn zur Vernunft zu bringen, wenn er wieder einmal rot sah.
    Nach und nach erkannte Joseph jedoch selbst, dass dieses Züchtigungsinstrument kontraproduktiv war, weil es dazu führte, dass Michael sich verkroch. Er verbarrikadierte sich im Kinderzimmer oder versteckte sich unter dem Bett und weigerte sich, herauszukommen, und all das ging von unserer kostbaren Übungszeit ab. Einmal schrie er Joseph ins Gesicht, dass er nie wieder einen Ton singen werde, wenn er ihn noch einmal anfasse. Es war dann an uns, den älteren Brüdern, ihn zu beruhigen und ihn mit Süßigkeiten zu bestechen, doch weiterzumachen: Es war erstaunlich, was sich bei ihm erreichen ließ, wenn man ihm einen Jawbreaker in Aussicht stellte – eines dieser besonders harten Bonbons, das beim Lutschen verschiedenfarbige, manchmal auch verschieden schmeckende Schichten offenbarte.
    Aber gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass Michael auch ein Junge war, der anderen gern Streiche spielte. Es gab also nicht nur Tränen und Theater in unserem Leben. Aus der Comedy-Sendung mit den drei Stooges hatte er sich abgeguckt, wie man herumblödelte und andere zum Lachen brachte. Das liebte er. Er schnitt gern Gesichter, riss die Augen groß auf, blies die Backen auf und schürzte die Lippen, vor allem dann, wenn jemand gerade ganz ernsthaft sprach. Einmal hielt mir Joseph einen Vortrag, weil ich irgendetwas nicht erledigt hatte. Es war nicht so schlimm, dass ich deswegen Prügel kassiert hätte, aber ich musste mir eine ziemlich Standpauke gefallen lassen. Während unser Vater mit zornesrotem Gesicht vor mir stand, entdeckte ich plötzlich Michael hinter ihm, wie er diese Grimasse zog. Ich versuchte mich auf Joseph zu konzentrieren, aber nun steckte sich Michael auch noch beide Finger in die Ohren, und damit hatte er mich. Unwillkürlich musste ich grinsen. „Junge!“, donnerte Joseph. „Lachst du etwa über mich?“ Michael war in diesem Augenblick natürlich schon wieder in unser Zimmer verschwunden.
    Er und Marlon hatten sich sogar einen Spitznamen für Joseph einfallen lassen: Eimerkopf. So nannten sie ihn natürlich nur hinter seinem Rücken; wenn er dann gerade zufällig des Weges kam, brachen sie in lautes Kichern aus. Wir nannten ihn aber auch „der Falke“, weil er sich immer einbildete, dass er alles sah und wusste. Das war der einzige Spitzname, den wir ihm jemals verrieten. Der gefiel ihm – er hörte sich respektvoll an.
    Josephs Jähzorn und sein harter Erziehungsstil werden heute sicherlich kaum noch Unterstützung finden, aber im Laufe meiner Jugend begann ich zu verstehen, welche Überlegung hinter den Schlägen steckte. Zunächst war uns überhaupt nicht bewusst, was für große Sorgen es unseren Eltern bereitete, dass der Einfluss gewalttätiger Banden Mitte der Sechzigerjahre enorm wuchs und sich in der Nähe viele Jugendgangs gründeten. Die Polizei im Bundesstaat Indiana richtete ein eigenes Dezernat für Bandenkriminalität ein; an der Schule kursierten Gerüchte, dass in unserem Viertel mit Automatikwaffen geschossen werde und das FBI die Nachbarschaft überwache. In Chicago wurden in einer Woche 16 Jugendliche von Kugeln getroffen, zwei davon tödlich.
    Im Regal Theater ging das Management so weit, uniformierte Polizisten dazu anzuheuern, damit sie in der Lobby und vor den Ticketschaltern patrouillierten, weil Gangs die Gegend unsicher machten. Diese Geschichten kamen natürlich auch den Vätern im Stahlwerk zu Ohren. Joseph war nicht nur fest entschlossen, dass wir unser Leben nicht in der

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