You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
Michael hereinkriechen hörten …
Michaels Lust auf Süßes führte schließlich zu dem einen entsetzlichen Augenblick, von dem er später sagte, dass für ihn kurz die Welt stillstand. Es war Winter, und es lag dicker Schnee. Er hatte keine Lust gehabt, selbst in die Kälte hinauszugehen, und daher Marlon überredet, für ihn loszuziehen und Kaugummi zu kaufen.
Wenig später, als wir drinnen spielten und Mutter in der Küche war, trommelte ein Nachbarskind an die Tür und schrie: „Marlon ist tot!“ Er war von einem Auto erfasst worden.
Mutter rannte nach draußen und kreischte: „Wo?! Wo?!“
Ich stand auf dem Gartenweg und sah ihr nach, wie sie durch den Schnee die Straße entlanglief. Hinter mir stand Michael, der, von Schuldgefühlen überwältigt, wie angewurzelt an der Schwelle verharrte. „Oh Gott, was habe ich getan? Ich habe ihn zum Kaugummikaufen geschickt … Erms, das alles ist meine Schuld.“
Ein Auto war auf der schneeglatten Straße ins Schleudern gekommen und hatte Marlon verletzt. Er lag noch unter der Stoßstange des Wagens auf der Straße, als Mutter ihn fand; einige Leute aus der Straße hatten sich bereits um ihn gekümmert. Er hatte Kopfverletzungen davongetragen und kam ins Krankenhaus, wo er einige Tage blieb. Als Mutter nach Hause kam und sagte, dass er wieder gesund werden würde, brach Michael vor Erleichterung in Tränen aus. Er war restlos überzeugt gewesen, dass sein Bruder tot sei, nur seinetwegen und dass er deswegen später als Strafe nicht in Gottes Paradies kommen werde.
Diese Überlegung wurzelte darin, dass bei uns zu Hause die Lehren des Königreichsaals ebenso viel Gewicht hatten wie die Lehren der Unterhaltungsbranche. Die Ironie dieser Kombination wurde uns gar nicht bewusst. Als Kinder stellten wir nichts in Frage: Ich glaube, das haben wir nie gelernt. Michael glaubte es, wenn die Ältesten predigten, dass nur 144 000 Menschen von Jehova gerettet und nach dem Armageddon in ein neues Paradies gebracht würden. Wieso nur 144 000 von den vier Millionen praktizierenden Zeugen Jehovas, die es in den USA gab? Wir fragten nie. Der Einfluss Jehovas war eine Konstante des Lebens in der Jackson Street 2300, der vielleicht nie genug Gewicht beigemessen worden ist: Es war eine Doktrin, die Michael konditionierte und die uns ebenso dazu brachte, uns sklavisch an Regeln zu halten, wie Josephs unnachgiebige Strenge.
Gott war stets in unserem Haus zugegen, aber Jehova zog richtig ein, als Michael zwei Jahre alt war, kurz bevor Mutter mit Randy schwanger wurde. Sie war als Christin erzogen worden und kam aus einer Familie, die den Baptisten eng verbunden war, aber 1960 ereigneten sich zwei entscheidende Ereignisse: Erst wurde ruchbar, dass ein Pastor der Lutherischen Kirche von Gary, den Mutter sehr respektierte, eine Affäre hatte und damit sein Versprechen an Gott gebrochen hatte, und während Mutter noch mit dieser schweren spirituellen Enttäuschung kämpfte, klopfte dann eine praktizierende Zeugin Jehovas, eine Freundin namens Beverly Brown, an unsere Tür. Und das war der Augenblick, da Weihnachten und Geburtstage aus unserem Haus verschwanden. Mutter sagt zwar, dass ich mich doch daran erinnern „muss“, dass wir einen Weihnachtsbaum hatten und ich Geschenke bekam, bevor ich sechs wurde, aber mir fällt nichts dazu ein.
Nach ihrer Konversion war der einzige „besondere Tag“ der obligatorische Besuch des örtlichen Königreichsaals an Mutters Seite. Es oblag ihrer Verantwortung, uns die Liebe Gottes aufzuzeigen. Joseph begleitete uns selten, wenn wir uns unsere gebrauchten „guten“ Hosen, Jacken und Schlipse anzogen, um brav auf den Stühlen zu sitzen und zum Stillsein ermahnt zu werden, wenn wir herumrutschten, maulten oder mit den Füßen wippten. Nur die Hymnen ließen die ganze Sache ein kleines Bisschen lebendig erscheinen.
Mutter sorgte dafür, dass wir uns Zeit zum Bibelstudium nahmen. Das Alte und das Neue Testament und die wichtigsten Schriften der Glaubensgemeinschaft wie der Wachtturm oder Vom verlorenen Paradies zum wiedererlangten Paradies lagen stets auf dem Wohnzimmertisch parat. Mutter bekam Gesellschaft von anderen Zeugen Jehovas, um aus den Schriften vorzulesen, während Jackie, Tito, Marlon, Michael und ich uns auf dem Sofa zusammenquetschten, die Mädchen zu unseren Füßen, mit je einer Bibel auf dem Schoß und einem Bleistift in der Hand, um Passagen zu unterstreichen, die bei der nächsten Predigt zur Sprache kommen sollten. Rebbie
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